Logo Niedersächsisches Justizministerium: zur Startseite Niedersachsen klar Logo

Rede der Niedersächsischen Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann im Bundesrat zu TOP 81 „Entschließung des Bundesrates: Beschleunigung sozialgerichtlicher Verfahren durch Anpassung des Sozialgerichtsgesetzes“

Sitzung des Bundesrates am 19. Dezember 2025


Es gilt das gesprochene Wort!


„Sehr geehrte Frau Präsidentin/sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,

unsere Sozialgerichte sind bundesweit nach wie vor stark belastet.

Zum Ende des Jahres 2024 waren bei den deutschen Sozialgerichten über 325.000 Klageverfahren anhängig.

Die durchschnittliche Verfahrensdauer beträgt dabei fast anderthalb Jahre.

Das ist zu lang – vor allem für die Menschen, die auf staatliche Unterstützung und auf schnelle Entscheidungen angewiesen sind.

Die Sozialgerichte sind Garanten eines funktionierenden, bürgerfreundlichen Sozialstaats.

Die Sozialgerichte sind die Gerichte für die Schwächsten in unserer Gesellschaft.

Wer sich an ein Sozialgericht wendet – und das sind zum Beispiel alte Menschen, behinderte Menschen, Menschen, die einen Arbeitsunfall erlitten haben, Menschen, die medizinische Hilfsmittel oder eine medizinische Behandlung benötigen - braucht in der Regel zügig Klarheit darüber, ob er oder sie die beantragte Leistung bekommen wird.

Besteht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld? Bekommt diejenige, die Opfer einer Straftat geworden ist, eine Entschädigung? Wird die beantragte Erwerbsminderungsrente gezahlt?

Da geht es oft um die Existenz – und genau deshalb ist eine kurze Verfahrenslaufzeit essenziell.

Als unmittelbarere Elemente des sozialen Rechtsstaats müssen die Sozialgerichte in die Lage versetzt werden, in angemessener Zeit gerechte Entscheidungen zu treffen.

Und dazu brauchen wir eine Straffung und Beschleunigung der sozialgerichtlichen Verfahren – im wohlverstandenen Interesse sowohl der Rechtssuchenden als auch der Menschen, die an den Gerichten ihre Arbeit tun – für die ich mich im Übrigen an dieser Stelle ganz herzlich bedanken möchte.

Wir brauchen daher eine Reform des Sozialgerichtsgesetzes.

Dazu haben wir einige Vorschläge, die weder zwingend noch abschließend sind, um einen entsprechenden Denk- und Diskussionsprozess in Gang zu setzen.

Drei dieser Vorschläge möchte ich kurz ansprechen:

Erstens schlagen wir vor, dass die Vorsitzende Richterin bzw. der Vorsitzende Richter auch in der ersten Instanz – vergleichbar mit dem Berufungsverfahren – im Einverständnis mit den Beteiligten anstelle der Kammer – also alleine – entscheiden kann

Das macht das Verfahren leichter zu organisieren und damit schneller.

Zweitens schlagen wir vor, die Nichtbetreibensfrist im sozialgerichtlichen Verfahren von derzeit drei auf dann zwei Monate zu verkürzen.

Hintergrund ist, dass die Klage nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.

Das Nichtbetreiben wird aber insbesondere in Erstattungsstreitigkeiten oft als taktisches Mittel eingesetzt, um die Vollstreckung berechtigter Forderungen während der Dauer des Widerspruchs- und Klageverfahrens zu verhindern.

Auch ist zu beobachten, dass spezialisierte Prozessbevollmächtigte die Dreimonatsfrist nach Aufforderung des Gerichts, das Verfahren weiter zu betreiben, voll ausschöpfen.

Das führt in vielen Fällen zu erheblichen Verfahrensverzögerungen.

Zur Entschärfung der Problematik könnte die Dreimonatsfrist nach dem Vorbild des § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf zwei Monate reduziert werden.

Und drittens schlagen wir vor, die Verschuldenskostenregelung des § 192 SGG zu erweitern.

Diese Regelung ermöglicht es, Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten aufzuerlegen, die durch eine schuldhafte Verzögerung oder eine rechtsmissbräuchliche Weiterführung eines aussichtslosen Prozesses entstehen.

Das dient der Beschleunigung des Verfahrens und trägt im Übrigen auch dem Schadensprinzip Rechnung.

Wir schlagen nun vor, diese Regelung auf grundlos oder sogar missbräuchlich nicht wahrgenommene medizinische Untersuchungstermine bei Sachverständigen zu erweitern.

Auch das wird viele Verfahren deutlich beschleunigen.


Frau Präsidentin/Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

sofern dies klingen sollte, als wollten wir mit diesen Vorschlägen Rechte der Bürgerinnen und Bürger einschränken, kann ich Ihnen versichern, dass der Eindruck täuscht.

Eingeschränkt wird lediglich die Möglichkeit, das Verfahren zu verzögern und zu verschleppen – wir wollen das Verfahren dagegen deutlich beschleunigen.

Das dient dem Interesse aller Bürgerinnen und Bürger, die an den Sozialgerichten im ganzen Land Ansprüche geltend machen und ein vitales Interesse an einer zügigen Entscheidung haben.

Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende dieses Reformweges ein besseres und effizienteres Sozialgerichtsgesetz haben werden, das die Gerichte spürbar entlastet – und das damit den Bedürfnissen der Rechtssuchenden noch besser gerecht wird.

Vielen Dank.“


Schmuckgrafik   Bildrechte: MJ

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.12.2025

Ansprechpartner/in:
Frau Verena Brinkmann

Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120 5044

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln