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Wie bekämpft die Landesregierung Menschenhandel und Schlepperei?“

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 21.06.2013, Mündliche Anfrage (TOP 37)


HANNOVER. Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Rudolf Götz, Thomas Adasch und Ansgar Focke (CDU)

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Die Welt vom 4. Juni 2013 berichtet über die Festnahme eines sogenannten „Scheichs der Schlepper“ in Twistringen. Dieser soll für viel Geld Flüchtlinge unter unmenschlichen Bedingungen nach Deutschland geschleust haben. An rund 30 Orten vor allem in Niedersachsen soll es zu Hausdurchsuchungen gekommen sein. Unter anderem sollen die Täter Flüchtlingen die Haut an den Händen abgeschliffen haben, um eine Identifizierung mittels Fingerabdrücken zu verhindern.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie ist der Verfahrensstand in dem genannten Ermittlungsverfahren?

2. Wie wird die Landesregierung in diesem Verfahren weiter vorgehen?

3. Wie wird die Landesregierung die Schlepperei und Menschenhandel bekämpfen?

Ministerin Niewisch-Lennartz beantwortet die Anfrage im Namen der Landesregierung:

Der Landesregierung ist an der Aufklärung und Ahndung sämtlicher Straftaten, auch solcher des Einschleusens von Ausländern und des Menschenhandels in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, gelegen. Insbesondere einer verstärkten Bekämpfung des Menschenhandels als extremster Form sexueller Ausbeutung ist die Landesregierung verpflichtet.

Die der Wahrung des Legalitätsprinzips dienende Weisungsbefugnis der Landesjustizverwaltung nach § 147 Nr. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes ist zwar als Steuerungsmechanismus auch in konkreten Verfahren unverzichtbar. Sie kann und darf aber auch allein mit dem Ziel ausgeübt werden, dass die Staatsanwaltschaft wegen aller verfolgbaren Straftaten einschreitet und Anklage erhebt, sofern die Ermittlungen dafür ge­nügenden Anlass geben. Ein der Staatsanwaltschaft gesetzlich zustehendes Ermessen wird von der Landesjustizverwaltung grundsätzlich akzeptiert. Eine Weisung wird nur dann erteilt, wenn sie sachlich unabweisbar geboten ist. Einzelfallweisungen sind nicht zuletzt deshalb sehr selten.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung wie folgt:

Zu 1:

Erkenntnisse zum Inhalt und zum Stand des Ermittlungsverfahrens können im Einzelnen nicht dargelegt werden, weil die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen sind und nicht beeinträchtigt werden dürfen. Darüber hinaus ist stets die verfassungsrechtlich garantierte uneingeschränkte Geltung der Unschuldsvermutung zu beachten.

Zu 2.:

Das Niedersächsische Justizministerium verfolgt das Verfahren aufmerksam und lässt sich zu diesem Zweck von der die Ermittlungen führenden Staatsanwaltschaft Verden über den Verfahrensgang berichten. Die Verpflichtung hierzu ergibt sich aus Nr. 1 Abs. 1 der AV des MJ vom 08.10.2007 „Berichtspflichten in Straf- und Bußgeldsachen“, wonach dem Justizministerium in Strafsachen zu berichten ist, die in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung sind, was u. a. der Fall ist, wenn wegen der Art oder des Gewichts der Beschuldigung das Verfahren von öffentlichem Interesse ist.

Zu einem weitergehenden Tätigwerden in diesem Verfahren sieht die Landesregierung

- ständiger Übung entsprechend - keine Veranlassung. Insoweit wird auf die Vorbe­merkungen verwiesen.

Zu 3.:

Die einzelnen Deliktsfelder der illegalen Einreise, der Schleuser-/Schleusungskriminalität und des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung bzw. der Ausbeutung der Arbeitskraft sind als ganzheitliches Phänomen zu betrachten.

Der Begriff der Schleusungskriminalität umfasst Verhaltensweisen, die sich als Beteiligung an der unerlaubten Einreise und dem unerlaubten Aufenthalt (§§ 96 f. AufenthG) darstellen. Der Deliktsbereich des Menschenhandels umfasst insbesondere den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (§ 232 StGB) und den Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB). Die Landesregierung geht konsequent gegen die unterschiedlichen Formen des Menschenhandels und der Einschleusung von Ausländern vor und unterstützt jede Initiative, die eine nachhaltige Reduzierung dieser Delikte zum Ziel hat. Im Vordergrund stehen hierbei die Prävention, der Opferschutz, die Strafverfolgung sowie eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Behörden, Einrichtungen und Verbänden.

Der ganzheitliche Bekämpfungsansatz spiegelt sich auch in dem Gemeinsamen Runderlass zur Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Ausländer- und Leistungsbehörden, Jugendämtern, Agenturen für Arbeit und Fachberatungsstellen zum Schutz der Betroffenen des auf die sexuelle Ausbeutung gerichteten Menschenhandels (Gem. RdErl. d. MI, d. MS u. d. MJ vom 11.07.2008 - P 23.23-12334/15-4 – Kooperationserlass) wieder. Er wird derzeit ressortübergreifend überarbeitet. Dabei gilt es, ihn auf seine Wirksamkeit zu überprüfen, an die geänderte Rechtslage sowie die Erfordernisse der Praxis anzupassen und dabei aktuelle Entwicklungen im Bereich des Menschenhandels zu berücksichtigen.

Das Landeskriminalamt Niedersachsen führt mit der in die Zentralstelle für Organisierte Kriminalität eingebundenen Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Schleusungskriminalität (GES) polizeiliche Ermittlungen im Rahmen der Strafverfolgung durch, soweit eine zentrale Bearbeitung in Fällen von organisierter Kriminalität bzw. von Menschenhandel geboten ist und koordiniert die Aufgaben des Zeugen- und Opferschutzes auf Grundlage des o. a. Kooperationserlasses. In die GES ist dauerhaft eine strategische Analysestelle Menschenhandel integriert. Personell setzt sich die GES aus Mitarbeitern des LKA Niedersachsen und der Bundespolizei zusammen.

In ihrer Sitzung am 18.06.2013 hat die niedersächsische Landesregierung beschlossen, eine Bundesratsinitiative zu ergreifen, die zum einen die Vorgaben der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates in strafrechtlicher Hinsicht umsetzt, zum anderen und vor allem aber die Effektivität und Kohärenz der Tatbestände zur Bekämpfung des Menschenhandels verbessert. Dazu wird Niedersachsen dem Bundesrat einen Gesetzentwurf unterbreiten, der dort noch vor der Sommerpause eingebracht werden soll.

Der Umsetzung der Richtlinie dienen die folgenden im niedersächsischen Entwurf enthaltenen Gesetzesänderungen:

• Erweiterung des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft auf die Ausbeutung durch Betteltätigkeiten, die Ausnutzung strafbarer Handlungen und die Organentnahme.

• eine Strafschärfung, die bislang nur eingreift, wenn das Opfer des Menschenhandels ein Kind ist, gilt schon dann, wenn das Opfer unter 18 Jahre alt ist.

• Die Strafschärfungen, die bei Menschenhandelsdelikten bislang nur dann eingreifen, wenn der Täter das Opfer durch die Tat vorsätzlich in die Gefahr des Todes bringt, sollen künftig schon dann erfüllt sein, wenn dem Täter insoweit nur Leichtfertigkeit, was etwa dem Begriff der groben Fahrlässigkeit entspricht, zur Last zu legen ist.

• Die Menschenhandelsdelikte sollen auch in den Katalog derjenigen Straftaten aufgenommen werden, deren Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers ruht. Die Wirkung des Ruhens besteht darin, dass es den Beginn der Verjährungsfrist hinausschiebt oder den Weiterlauf einer bereits begonnenen Frist hemmt.

Der Gesetzentwurf soll neben der Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU aber auch die Effektivität und Kohärenz der Tatbestände zur Bekämpfung des Menschenhandels verbessern. Deshalb sieht der niedersächsische Entwurf darüber hinaus folgende Gesetzesänderungen vor:

• Der Strafrahmen für Menschenhandelsdelikte zum Nachteil eines Kindes soll auf 2 Jahre bis 15 Jahre Freiheitsstrafe erhöht werden. Wer ein Kind zur Aufnahme der Prostitution bringt, wird nach geltendem Recht mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Dieser Strafrahmen, der milder als beispielsweise der des Meineides (§ 154 StGB) ist, erscheint dem Unrechtsgehalt einer solchen verabscheuungswürdigen Tat nicht angemessen.

• Es wird ein neuer Straftatbestand „Sexueller Missbrauch von Menschenhandelsopfern“ eingeführt. Der Tatbestand erfasst insbesondere Freier, die die Dienste einer Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen und dabei deren Lage kennen. Nach geltendem Recht machen sich Freier von Zwangsprostituierten regelmäßig nicht strafbar. Dies soll nicht länger hingenommen werden, da sie die typischerweise gegebene Schwächesituation der Menschenhandelsopfer ausbeuten.

• Schließlich sieht der Gesetzentwurf einen neuen Grundtatbestand des

Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft und anderweitiger Ausbeutung vor. Dies soll die Anwendung des Tatbestands, der bislang praktisch kaum zur Anwendung kommt, vereinfachen und dazu führen, dass er aus seinem bisherigen Schattendasein heraustritt. Dabei ändert sich nichts am Kriterium der ausbeuterischen Beschäftigung. Eine Beschäftigung, die bislang nicht als ausbeuterisch galt, tut es auch künftig nicht. Ziel des Gesetzentwurfs ist, diejenigen, die dafür sorgen, dass andere Menschen sich in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse begeben, leichter einer Bestrafung zuzuführen.

Dass die Bekämpfung des Menschenhandels und damit verwandter Kriminalitätsphänomene sich nicht auf die Strafverfolgung beschränken kann, ist der Landesregierung bewusst. Ein erster und wichtiger Schritt ist mit dem Gesetzentwurf aber getan.

Presseinformation

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erstellt am:
21.06.2013

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