Antwort auf die Mündliche Anfrage: „Welches Signal geht von der Einstellung des Strafverfahrens gegen den ehemaligen SPD-Bundestagabgeordneten Sebastian Edathy aus?“
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 19. März 2015, Mündliche Anfrage Nr. 2
Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage Nr. 2 des Abgeordneten Lutz Winkelmann (CDU):
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Am 2. März 2015 wurde das Strafverfahren gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes von Kinderpornographie vor dem Landgericht Verden gegen die Zahlung einer Geldauflage von 5 000 Euro an den Kinderschutzbund Niedersachsen nach § 153 a der Strafprozessordnung eingestellt.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft Hannover hatte zuvor ein eindeutiges Schuldeingeständnis Edathys zur Bedingung für die Einstellung des Verfahrens gemacht, wie die „Tagesschau“ im Internet am 2. März 2015 berichtete. Der Anwalt von Sebastian Edathy verlas daraufhin namens seines Mandanten eine Erklärung in der Verhandlung. Daraufhin erteilte die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zur Einstellung.
Kurz darauf veröffentlichte Sebastian Edathy auf seiner Facebook-Seite im Internet folgende Äußerung: „Ich begrüße die Einstellung des Verfahrens durch das Landgericht Verden. Eine Fortsetzung wäre unverhältnismäßig gewesen. - Ich weise darauf hin, dass ein ‚Geständnis‘ ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt. Die Staatsanwaltschaft war mit dem Wortlaut der Erklärung einverstanden. Eine Schuldfeststellung ist damit ausdrücklich nicht getroffen worden.“
Der Vorsitzende des Kinderschutzbundes Niedersachsen sagte in einem Interview mit der Onlineausgabe der Zeit am 2. März 2015 zur Einstellung des Verfahrens gegen Sebastian Edathy: „Für 5 000 Euro ist die kinderpornografische Dimension dieses Verfahrens einfach vom Tisch gewischt. Die Problematik ‚Kinderpornografie im Netz‘ jetzt einfach zu den Akten zu legen, das wäre ein wahnsinnig schlechtes Signal. Die juristische Bewertung ist das eine. Die Botschaft, die auch durch Herrn Edathy geschickt wird, ist aber eine andere: Für 5 000 Euro ist dieses Thema zu erledigen, wenn man vorsichtig damit umgeht.“
Der Kinderschutzbund erklärte später, die Geldauflage von 5 000 Euro von Sebastian Edathy nicht annehmen zu wollen.
Am 2. März 2015 wurde auf der Internetseite www.openpetition.de eine Onlinepetition gegen die Einstellung des Strafverfahrens gegen Sebastian Edathy veröffentlicht. Der Petitionstext hat folgenden Inhalt: „Die Einstellung des Verfahrens ist ein Freibrief für alle Pädophilen. Mit dieser Petition möchte ich gegen die Einstellung des Verfahrens ‚Kinderporno-Prozess Edathy‘ vorgehen. Ich bin der Meinung, dass die Einstellung des Verfahrens absolut fehlerhaft ist, und fordere Widerspruch! Was diese Kinder auf den Videos erleiden müssen daran denkt niemand, bei uns wird nicht über den Tellerrand geschaut, was ist mit den Kinder in den Videos? Denkt jemand daran? Solche Menschen wie Edathy sorgen erst dafür, dass damit ein Geschäftsmodell entsteht. Und dann eine einfache Entschuldigung und 5 000 Euro? Davon haben die Kinder nichts, aber die Jugend ist zerstört!“
Diese Petition hatte innerhalb von zwei Tagen mehr als 185 000 Unterstützer.
Die Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens gegen Sebastian Edathy gegen eine Geldauflage war bereits eine Woche zuvor bekannt geworden. So berichtete z. B. die Braunschweiger Zeitung am 24. Februar 2015 („Edathy-Prozess könnte mit Geldstrafe enden“) über diese Möglichkeit.
Staatsanwälte sind in Deutschland gemäß § 146 des Gerichtsverfassungsgesetzes an die dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten gebunden. Eine dienstliche Anweisung innerhalb der Staatsanwaltschaft Hannover oder von der Justizministerin, der Einstellung des Strafverfahrens gegen Sebastian Edathy gegen eine Geldauflage nicht zuzustimmen, ist nicht bekannt.
Ich frage die Landesregierung:
- Sieht die Landesregierung in der Einstellung des Strafverfahrens wegen des Besitzes von Kinderpornographie gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy gegen eine Geldauflage gemeinsam wie der Kinderschutzbund Niedersachsen ein „wahnsinnig schlechtes Signal“?
- Hätte die Justizministerin die Möglichkeit zu einer verbindlichen Anweisung an die Staatsanwaltschaft Hannover gehabt, der Einstellung des Strafverfahrens gegen eine Geldauflage nicht zuzustimmen?
- Hat Sebastian Edathy nach Ansicht der Landesregierung seine Schuld eingestanden, auch wenn er dies ausdrücklich abstreitet?
Ministerin Niewisch-Lennartz beantwortet die Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.
Die Landesregierung ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich garantierten Gewaltenteilung gehalten, die in richterlicher Unabhängigkeit getroffene Entscheidung des Landgerichts Verden nicht zu kommentieren.
Zu 2.
Der Justizministerin steht gemäß den § 146, § 147 Nr. 2 GVG eine Weisungsbefugnis zu. Diese Dienstaufsicht berechtigt zur Erteilung von allgemeinen Weisungen und Weisungen im Einzelfall, sowohl im Hinblick auf die rechtliche als auch die tatsächliche Sachbehandlung. Allerdings unterliegt die Dienstaufsicht Grenzen, die sich wiederum aus dem Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) und aus der Bindung an Gesetz und Recht (Artikel 20 Abs. 3 GG) ergeben. Soweit das Gesetz keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zulässt, kommt die Ausübung des Weisungsrechts somit von Vornherein nicht in Betracht. Das Weisungsrecht darf aber auch sonst nicht von rechts- oder sachwidrigen Erwägungen geleitet sein.
Daran orientieren sich folgende von dem Niedersächsischen Justizministerium aufgestellten Weisungsgrundsätze, mit denen das Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischer und ministerieller Verantwortung auf der einen und der Gewährleistung einer unabhängigen Justiz auf der anderen Seite ausgestaltet worden ist:
1. Eine Weisung muss überhaupt rechtlich zulässig sein. Die Bindung an Gesetz und Recht gilt auch für die politische Spitze. Konkret heißt dies, dass jeder Weisung ein zumindest vertretbarer Rechtsstandpunkt zugrunde liegen muss, der vor der jeweiligen Kontrollinstanz verantwortet werden kann. Für die Landesjustizverwaltung ist diese Kontrollinstanz der Niedersächsische Landtag.
2. Eine Weisung bedarf in tatsächlicher Hinsicht einer sicheren Beurteilungsgrundlage. Wer Weisungen erteilt, trägt die volle Verantwortung für den dadurch gesteuerten weiteren Gang des Verfahrens. Für die Hauptverhandlung vor Gericht ist mit Rücksicht auf die elementaren Verfahrensgrundsätze der freien Beweiswürdigung und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in besonderem Maße Zurückhaltung geboten, denn Vorgesetzte, welche nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen haben, werden kaum in der Lage sein, sachgerechte Anträge zur Schuld- und Straffrage zu formulieren.
3. Ein der Staatsanwaltschaft gesetzlich zustehendes Ermessen wird von der Landesjustizverwaltung grundsätzlich bis zur Grenze des Nicht- oder des Fehlgebrauchs akzeptiert. Dies gilt in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht.
4. Eine Weisung muss sachlich unabweisbar geboten sein. Beurteilen die Verantwortungsträger bei Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft die Sachlage einvernehmlich, dann besteht gesteigerter Begründungsbedarf für eine gegenteilige Weisung. Neben der rechtlichen Zulässigkeit ist die Frage einer Weisung dann vor allem daraufhin zu prüfen, ob sie nach Abwägung aller gegen sie sprechenden Argumente unerlässlich ist.
5. Eine Weisung muss als solche zweifelsfrei erkennbar sein und sich deutlich von unverbindlichen Ratschlägen unterscheiden. Sie wird deshalb, sofern keine Einigung zu Stande kommt, schriftlich erteilt.
Vor diesem Hintergrund bestand kein Anlass für eine Weisung gegenüber der Staatsanwaltschaft Hannover. Diese hat in der Hauptverhandlung vor Gericht das ihr eingeräumte Ermessen nicht über- oder unterschritten.
Zu 3.
Die rechtliche Bewertung und Einstufung der von dem Angeklagten Sebastian Edathy abgegebenen Erklärungen oblagen der Staatsanwaltschaft und dem zuständigen Gericht. Dieses, wie auch das Verhalten des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Edathy zu bewerten, ist nicht Aufgabe der Landesregierung.
Artikel-Informationen
erstellt am:
20.03.2015
Ansprechpartner/in:
Frau Marika Tödt
Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
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Fax: 0511 / 120-5181