Logo Niedersächsisches Justizministerium: zur Startseite Niedersachsen klar Logo

Rede von Frau Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz zur Aktuellen Stunde zum Thema „Aufarbeitung der NS-Verbrechen: Der Bergen-Belsen-Prozess und der Fall Oskar Gröning“ (Drs. 17/7083)

116. Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 13.12.2016,TOP 15 a): Aktuelle Stunde


Es gilt das gesprochene Wort!

„Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, über das für unsere Rechtskultur so wichtige Thema der Aufarbeitung der NS-Verbrechen sprechen zu dürfen. Die niedersächsische Justiz hat dabei unlängst herausragende Aufklärungsarbeit geleistet. Alle Augen der Welt haben sich im Sommer des Jahres 2015 auf das Landgericht in Lüneburg gerichtet. Dessen Entscheidung ist jetzt rechtskräftig geworden. Der Bundesgerichtshof hat den Schuldspruch gegen Oskar Gröning bestätigt.

Lüneburg stand schon im September 1945 im Fokus der Weltöffentlichkeit, als der erste Bergen-Belsen-Prozess dort stattfand - der erste Kriegsverbrecherprozess auf deutschem Boden überhaupt. Verhandelt wurde vor einem britischen Militärgericht. Verurteilt wurden der Lagerkommandant des KZ Bergen-Belsen, Josef Kramer, und weitere dort tätige Personen - Ausführende einer unmenschlichen Tötungsmaschinerie. Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen war damit weder in Niedersachsen noch sonstig abgeschlossen. Sie ist es auch heute noch nicht. Lange Zeit war die Verfolgung kaum möglich, weil die Rechtsprechung über Jahrzehnte konsequent nur diejenigen zur Verantwortung zog, die unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mitgewirkt hatten - sei es als Täter oder als Gehilfen.

Es war nicht nur unglücklich, nein, es war mit dem Wort „Gerechtigkeit“ schlicht nicht vereinbar, jahrelang nur die unmittelbaren Täter zu verfolgen und die anderen „Räder“ im Getriebe der Tötungsmaschinerie außen vor zu lassen.

Eine Kehrtwende trat erst mit dem Fall Demjanjuk ein: Dem ehemaligen Wachmann im Vernichtungslager Sobibor konnte keine Täterschaft oder Teilnahme an konkreten Tötungshandlungen nachgewiesen werden. Das Landgericht München II sah ihn aber verantwortlich für den Mord an mehr als 28.000 Menschen und verurteilte ihn im Jahr 2011 allein auf Grund seiner Zugehörigkeit zu den Wachmannschaften wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren. Zu einer höchstrichterlichen Entscheidung über dieses Urteil kam es seinerzeit nicht mehr, weil der Verurteilte starb, noch bevor der Bundesgerichtshof über die Revision entschieden hat.

Im Juli 2015 hat das Landgericht Lüneburg Oskar Gröning - den „Buchhalter von Ausschwitz“ - wegen Beihilfe zum Mord in dreihunderttausend Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Nicht die Teilnahme an unmittelbaren Tötungshandlungen war ihm vorzuwerfen. Anzulasten war ihm, die Tötungsmaschinerie am Laufen gehalten zu haben. Im Alter von 22 Jahren hatte er im KZ Ausschwitz Verwaltungsaufgaben: Er verbuchte das Geld der Deportierten. Er trug an der Rampe dafür Sorge, dass das Gepäck der ankommenden Gefangenen bewacht wurde. Nur allein, um den Anschein der Normalität zu wahren. Um die Arglosigkeit der der Vernichtung Preisgegebenen nicht zu gefährden. Und damit den weiteren grausamen Ablauf von Selektion und dem Tod in der Gaskammer zu unterstützen. Das hat das Landgericht Lüneburg als strafbare Beihilfe zum Mord gewertet. Das Urteil ist ein Meilenstein auf dem Weg auch zur zukünftigen weiteren Aufarbeitung von NS-Kriegsverbrechen. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts Lüneburg inzwischen bestätigt und damit die Erstreckung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf nicht unmittelbar an Tötungshandlungen beteiligten ehemaligen KZ-Schergen höchstrichterlich anerkannt. Ein Meilenstein deutscher Justizgeschichte.

Viel Zeit ist vergangen, bis die deutsche Justiz damit begonnen hat, das barbarische Unrecht der NS-Tötungsmaschinerie konsequent gegen alle Beteiligte strafrechtlich aufzuarbeiten. Der Fall Oskar Gröning illustriert es anschaulich: Ein 94 Jahre alter Mann, sichtlich gebrechlich, vor Gericht - wir haben alle die Berichterstattung vor Augen - verantwortlich für ein Verbrechen, das er im Alter von 22 Jahren beging - kann das aber richtig sein, kann das gerecht, kann das Recht sein und heute noch zu verantworten?

Meine Antwort ist ein eindeutiges Ja. Wir müssen alles tun, um das damalige Unrecht aufzuklären und zu ahnden, soweit uns das noch möglich ist.

Wir müssen das nicht in erster Linie tun für das abstrakte Postulat der Gerechtigkeit. Wir müssen das für die Opfer tun und ihre Hinterbliebenen.

Wir tun das unter Wahrung aller strafprozessualen Rechte von Beschuldigten und Angeklagten. Ihnen widerfährt Recht. Dem Alter und dem gesundheitlichen Zustand wird im Verfahren vollumfänglich Rechnung getragen. Die Frage der Haftfähigkeit findet Berücksichtigung. Unser Rechtsstaat gebietet das. Aber er gebietet auch, dass das unermessliche Leid der Opfer nicht vergessen wird. Es geht nicht um Rache. Es geht um gemeinsame Aufarbeitung, um Genugtuung der Opfer und ihrer Hinterbliebenen und im Idealfall um Versöhnung.

Dies gilt auch im Fall Gröning. Auch ein Buchhalter des Bösen muss die Verantwortung dafür übernehmen, ein gut funktionierendes Rad im unmenschlichen Getriebe der Tötungsmaschinerie gewesen zu sein.

Ganz gleich, wie lange die Taten zurückliegen. Denn Mord verjährt nie und für Gerechtigkeit ist es niemals zu spät. Das schuldet der Rechtsstaat den Opfern. Das schulden wir den Opfern. Dafür tritt die Landesregierung ein!“

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
13.12.2016

Ansprechpartner/in:
Frau Katja Josephi

Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln