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Rede der Niedersächsischen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz im Niedersächsischen Landtag zu TOP 6

„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes“ (Drs. 17/7414)


Es gilt das gesprochene Wort!

„„Den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft kann man am Zustand ihrer Gefangenen ablesen.“, so Fjodor Dostojewski. Daran wollen wir mit diesem Gesetz arbeiten!

Das niedersächsische NJVollzG ist fast 10 Jahre alt und hat sich in seiner Struktur bewährt. Der niedersächsische Justizvollzug zeichnet sich durch eine besondere Innovationsfreude aus. Schon oft sind von hier Impulse für den Justizvollzug im gesamten Bundesgebiet ausgegangen. Das gilt auch für die Entwicklungen, die wir mit dieser Novelle anstoßen und fortführen wollen.

Wenn ein Urteil verkündet wird, dann steht das Strafmaß im Mittelpunkt. Denken Sie an das Raserurteil in Berlin. Der Sühnegedanke der Strafe ist zentral. Geht es aber in den Vollzug der Strafe, dann geht es darum, den Gefangenen und zum Teil auch seine Lebensumstände so zu verändern, dass er oder sie zu seinem oder ihrem eigenen Nutzen, aber vor allen Dingen auch zum Nutzen der Gesellschaft keine Straftaten mehr begeht. Der Begriff dafür: Resozialisierung, die soziale Integration der Strafgefangenen. So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart und so setzen wir es mit der vorliegenden Novelle des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes um.

Der Gesetzentwurf setzt an der entscheidenden Schnittstelle, dem Übergang vom Vollzug in die Freiheit an und schafft die Voraussetzungen für eine enge Kooperation zwischen Justizvollzug, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und freien Trägern der Straffälligenhilfe.

Opferschutz muss ein zentrales Anliegen der Justiz und damit auch für den Justizvollzug sein. Er hat seinen Platz in dem Gesetz gefunden. Mein Haus hat sich mit dieser Aufgabe in den letzten zwei Jahren intensiv beschäftigt, in einer landesweiten Projektgruppe, mit einer viel beachteten Fachtagung, aber auch im Kleinen, gemeinsam mit den Justizvollzugsanstalten in ganz praktischen Verbesserungen vor Ort. Maßstab aller Überlegungen war dabei die Frage, ob der Justizvollzug angemessen mit den Opfern von Straftaten umgeht. Nehmen wir ihre Situation wahr? Bietet die Justiz ihnen ausreichend Schutz und Unterstützung? Wir haben mit der Stiftung Opferhilfe und den zahlreichen engagierten Opferhilfevereinen ein gut funktionierendes Netz. Durch die Verurteilung der Täter allein lässt sich der Rechtsfrieden oftmals nicht wiederherstellen. Mit diesem Gesetzentwurf greifen wir die Belange von Opfern überall dort auf, wo vollzugliche Maßnahmen sie unmittelbar berühren. In der Vollzugsgestaltung werden Fragen von Wiedergutmachung und der Verantwortungsübernahme der Gefangenen für ihre Taten und deren Folgen an Bedeutung gewinnen - z.B. durch Trainingsmaßnahmen zur Förderung der Empathiefähigkeit. Opferinteressen werden bei der Gewährung von Lockerungen künftig eine zentrale Rolle spielen. Für die Opfer wird es entlastend sein zu wissen, wann der Täter wieder auf freien Fuß gelangt oder wann Vollzugslockerungen gewährt werden. Der Gesetzentwurf begründet deshalb einen entsprechenden Auskunftsanspruch der Opfer gegenüber der Vollzugsbehörde.

Wie gut die Wiedereingliederung in das Leben in Freiheit nach einer Haftentlassung - das heißt ohne weitere Straftaten - gelingt, hängt in ganz erheblichem Maße von dem jeweiligen sozialen Empfangsraum ab. Alle Studien belegen, dass die Einbindung in familiäre, berufliche und gesellschaftliche Strukturen wesentlich dazu beitragen kann, ein erneutes Abgleiten in die Kriminalität zu verhindern. Solche Netzwerke können ihre Wirkung aber nur entfalten, wenn sie am Entlassungstag auch zur Verfügung stehen.

Besuche in der Anstalt sind die einzige Möglichkeit, damit sich Ehegatten und Väter und Mütter mit ihren Kindern treffen können. Um diese Möglichkeit so nutzen zu können, dass Beziehungen erhalten bleiben, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Der Gesetzentwurf sieht daher eine Erhöhung der monatlichen Mindestbesuchszeiten vor, und zwar von einer Stunde auf vier Stunden im Erwachsenenvollzug, sowie von vier auf sechs Stunden im Jugendvollzug. Wie soll teilweise über Jahre der Inhaftierung hinweg eine Familie erhalten bleiben, die sich nur einmal im Monat für eine Stunde begegnen kann? Bei der Ausgestaltung der Besuche sind künftig auch die Lebensverhältnisse der Besucherinnen und Besucher zu berücksichtigen. Denkbar ist etwa die Schaffung von Besuchszeiten für Berufstätige ab dem Nachmittag oder an den Wochenenden.

Ein besonderes Anliegen ist es minderjährigen Kindern den Vater und die Mutter in dieser Rolle zu erhalten. Dies geschieht, indem die Besuchsräume in den Justizvollzugsanstalten zum Beispiel durch die Einrichtung von Spielecken kindgerecht ausgestattet werden, um mögliche Ängste der Kinder abzubauen und eine Entfremdung von dem inhaftierten Elternteil zu vermeiden.

Soziale Bindungen werden außerdem durch eine gesetzliche Grundlage für den Langzeitbesuch gefördert. Langzeitbesuche ermöglichen ein mehrstündiges Zusammensein ohne Aufsicht. Geeignete Gefangene können sich dabei unter Bedingungen, die den Lebensverhältnissen in Freiheit relativ nahe kommen, mit ihren Familien in einem geschützten Rahmen austauschen.

Die Novelle schafft eine Verpflichtung für die Vollzugsbehörden, entsprechende Räumlichkeiten vorzuhalten.

Ein nächster wichtiger Aspekt des Gesetzentwurfes betrifft die konsequente Orientierung am Resozialisierungsziel auch in Bezug auf die Arbeit. Wir wissen, dass die Ausübung einer tagesstrukturierenden Beschäftigung das Selbstwertgefühl und das Sozialverhalten fördern kann. Der Arbeit kommt im Strafvollzug auch für die Resozialisierung eine gewichtige Rolle zu.

Sie ist allerdings nicht immer, und nicht für alle Gefangenen das „Mittel der Wahl“. Soweit andere Maßnahmen, wie zum Beispiel gezielte therapeutische Interventionen für die Resozialisierung unerlässlich erscheinen, müssen diese - auch im Interesse des Opferschutzes - Vorrang haben.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das Verhältnis von Arbeit und Therapiemaßnahmen flexibler gestaltet. Die wirtschaftliche Betätigung der Gefangenen, die Arbeitspflicht darf nicht länger Vorrang vor allen Resozialisierungsmaßnahmen haben. Die Teilnahme an Psychotherapie oder einem Sozialen Training ist künftig auch während der Arbeitszeit der Gefangenen zuzulassen, wenn dies zur Resozialisierung erforderlich ist.

Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser umfassenden Novelle des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes sowohl unseren Anspruch erfüllen, die Resozialisierung von Strafgefangenen weiter zu verbessern, als auch einen ganz wesentlichen Beitrag zur Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger leisten.

Es hat in diesem Haus schon eine gewisse Tradition, dass bei den Themen des Justizvollzuges Einigkeit unter den Fraktionen herrscht. Ich erinnere nur an das Jugendarrestvollzugsgesetz, das vor etwa einem Jahr einstimmig verabschiedet wurde. Das wünsche ich auch diesem Gesetzentwurf. Lassen Sie uns gemeinsam – um auf Dostojewsky zurückzukommen – den Grad der Zivilisation der Gesellschaft ein kleines bisschen nach oben schrauben!“

Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz hält eine Rede im Landtag   Bildrechte: Sven Brauers

Artikel-Informationen

erstellt am:
01.03.2017

Ansprechpartner/in:
Frau Katja Josephi

Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044

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