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Rede der Niedersächsischen Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann im Bundesrat zu TOP 8 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Absenkung der Hürden für eine audiovisuelle Vernehmung von minderjährigen Zeugen“

Sitzung des Bundesrates am 26. April 2024


Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrte/r Herr/Frau Präsident/in,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Jahr 2022 wurden in Deutschland an jedem einzelnen Tag 52 Kinder Opfer von Sexualstraftaten.

Weitere 12 Kinder pro Tag wurden Opfer von Misshandlungen.

Das ist sowohl erschreckend als auch absolut verabscheuenswürdig.

Wir alle sind als Gesellschaft, als Politik, als Mitmenschen, verpflichtet, hier präventiv tätig zu werden und solche Taten an den Schwächsten in unserer Gesellschaft zu verhindern.

Wenn eine solche Tat aber dennoch geschehen ist, dann haben Justiz und Polizei die Aufgabe, die Tat konsequent aufzuklären und den Täter energisch zu verfolgen und vor Gericht zu bringen.

Gemeinsam mit dem Täter muss dann aber in der Regel auch das Kind vor Gericht. Und zwar als Zeugin oder Zeuge.

Unser Strafrecht ist so konstruiert, dass das Opfer einer Straftat oft das wichtigste Beweismittel im Strafprozess ist – und das ist auch richtig so.

Aber: Schon für Erwachsene, die Opfer einer Sexualstraftat oder einer Gewalttat geworden sind, ist es oft unglaublich schwierig, in einem vollbesetzten Gerichtssaal in einem für Laien oft schwer durchschaubaren Strafverfahren wieder mit dem Täter und der Tat konfrontiert zu werden und dabei eine ruhige und nachvollziehbare Aussage zu machen.

Umso schwerer ist es für Kinder, als Opferzeuginnen und -zeugen auszusagen.

Für viele von ihnen ist die Situation im Gerichtssaal in höchstem Maße beängstigend.

Sie sollen oft Monate oder Jahre nach der Tat in Anwesenheit vieler fremder Erwachsener intimste Fragen beantworten.

Oft sitzen ihnen auf der Anklagebank die eigenen Eltern oder andere nahe Verwandte Auge in Auge gegenüber.

Man kann sich unschwer vorstellen, welche Angst die ganze Situation bei den Kindern auslöst.

In manchen Fällen kann man die Aussage des Kindes vermeiden, indem man Videos von früheren Vernehmungen in die Hauptverhandlung einführt.

In vielen anderen Fällen ist das aber nicht möglich – und in diesen Fällen bietet das Gesetz keine ausreichende Möglichkeit, um die Belastung für das Kind bestmöglich zu reduzieren.

Es ist zwar möglich, dass Fragen nicht von Verfahrensbeteiligten, sondern ausschließlich über die Vorsitzende Richterin oder den Vorsitzenden Richter gestellt werden.

Und unter bestimmten Voraussetzungen ist es auch möglich, die Öffentlichkeit und ggf. auch den Angeklagten selbst von der Verhandlung auszuschließen.

Aber: All das nimmt der Situation nicht den Druck, in einem großen, einschüchternden Gerichtssaal vor vielen unbekannten Erwachsenen über schlimme und größtenteils auch intime Erlebnisse sprechen zu müssen.

Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir deshalb den Schutz der kindlichen Zeuginnen und Zeugen verbessern.

Wir wollen es erleichtern, Kinder in der Hauptverhandlung audiovisuell – also per Videoübertragung – zu vernehmen – und zwar nicht im Gerichtssaal, sondern in einem Nebenraum in kindgerechter Weise alleine durch die oder den Vorsitzenden.

Auf Wunsch auch in Begleitung einer Vertrauensperson und der psychosozialen Prozessbegleitung.

Wir wollen es dadurch ermöglichen, dass das Kind in einer erheblich vertrauensvolleren Atmosphäre aussagen kann, als man sie in einem Gerichtssaal jemals herstellen könnte.

Gleichzeitig wird die Vernehmung per Live-Video in den Gerichtssaal übertragen, damit die Verfahrensbeteiligten ihr dort folgen können.

Das ist nicht nur für das Kind besonders schonend.

Auch dem Angeklagten bleibt – anders als bei seinem Ausschluss – die Möglichkeit, die Aussage durch die Übertragung live zu hören und zu sehen.

Und aus strafrichterlicher Sicht möchte ich anfügen, dass auch die Qualität der kindlichen Aussage in aller Regel umso besser ist, je freier und unbefangener das Kind aussagen kann.

Dementsprechend trägt die Erleichterung der Videoübertragung also auch erheblich zur Wahrheitsfindung bei – und damit auch zur Herstellung von Gerechtigkeit.

Eine solche Videovernehmung ist zwar heute bereits grundsätzlich möglich, aber die rechtlichen Hürden sind deutlich zu hoch.

Voraussetzung dafür ist die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl der Zeugin oder des Zeugen, wenn er oder sie in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen würde.

Um das festzustellen, muss regelmäßig ein Sachverständigengutachten eingeholt werden.

Das ist schwer verständlich – insbesondere deshalb, weil im Gegensatz dazu die Entfernung des Angeklagten aus dem Gerichtssaal bei der Vernehmung eines minderjährigen Zeugen schon dann zulässig ist, wenn ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen nur zu befürchten ist.

Das kann das Gericht nach ständiger Rechtsprechung selbst beurteilen – es ist also kein Gutachten dafür erforderlich.

Kurz gesagt: Es ist aktuell rechtlich und praktisch einfacher, den Angeklagten auszuschließen, als das Kind per Videoübertragung zu vernehmen – und das, obwohl die Videovernehmung für das Kind und den Angeklagten schonender ist.

Wir wollen diesen Wertungswiderspruch auflösen und die Voraussetzungen für die audiovisuelle Vernehmung von minderjährigen Zeuginnen und Zeugen denen für die Entfernung des Angeklagten angleichen.

Damit erreichen wir einen deutlich besseren Schutz für die Kinder, wahren zugleich die Rechte des Angeklagten deutlich besser und leisten darüber hinaus einen guten Beitrag zur besseren Wahrheitsfindung.

Ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen.

Vielen Dank!"

Justizministerin Dr. Wahlmann im Bundesrat   Bildrechte: © Bundesrat| Dirk Deckbar
Justizministerin Dr. Wahlmann im Bundesrat
Schmuckgrafik   Bildrechte: MJ

Artikel-Informationen

erstellt am:
26.04.2024

Ansprechpartner/in:
Frau Verena Brinkmann

Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120 5044

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