Antwort auf Mündliche Anfrage: „Menschenrechte stärken - Menschenhandel bekämpfen, Opfer schützen“
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 21.06.2013, Mündliche Anfrage (TOP 3)
HANNOVER. Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Kathrin Rühl, Marco Brunotte, Stefan Politze, Ulf Prange, Andrea Schröder-Ehlers, Grant Hendrik Tonne (SPD), Helge Limburg und Benit Onay (GRÜNE)
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Menschenhandel in jeglicher Form stellt eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte und der Menschenwürde der betroffenen Opfer dar und gilt daher als besonders verwerfliche Straftat. Gegenwärtig entwickelt er sich jedoch zu einer der lukrativsten Formen der organisierten Kriminalität. Betroffen sind häufig - aber nicht ausschließlich - Frauen und Kinder aus wirtschaftlich schwächeren Staaten. Die Opfer sind häufig über viele Jahre hinweg schwer traumatisiert.
Auch viele europäische Staaten sind Herkunfts-, Transit- oder Bestimmungsländer. Die Bundesrepublik Deutschland stellt durch ihre zentrale Lage innerhalb der Europäischen Union sowohl ein hochfrequentiertes Transit- als auch ein bedeutendes Zielland für den organisierten Menschenhandel dar.
Wirksam bekämpft werden kann der Menschenhandel nur auf globaler Ebene und im inter-nationalen Kontext. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben daher am 5. April 2011 die Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates erlassen. Ursprünglich hätte die Richtlinie bereits zum 6. April 2013 in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Diese Frist hat die Bundesrepublik Deutschland jedoch verstreichen lassen; eine Umsetzung der Richtlinie ist bislang nicht erfolgt.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Wie bewertet die Landesregierung das Verhalten der Bundesregierung in Bezug auf die bislang fehlende Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates?
2. Welche Bedeutung misst die Landesregierung der Bekämpfung des Menschenhandels bei?
3. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer?
Ministerin Niewisch-Lennartz beantwortet die Anfrage im Namen der Landesregierung:
Die Bekämpfung des Menschenhandels ist der Niedersächsischen Landesregierung ein besonders wichtiges Anliegen. Die Koalitionsparteien haben in der Koalitionsvereinbarung im Rahmen der Frauen- und Gleichstellungspolitik festgelegt, diese Kriminalitätsform als extremste Form sexueller Ausbeutung verstärkt zu bekämpfen. Ein wirksames Vorgehen gegen den Menschenhandel in allen seinen Erscheinungsformen - neben der sexuellen Ausbeutung gehört dazu auch die Ausbeutung der Arbeitskraft - kann sich nicht nur auf die Strafverfolgung beschränken, sondern muss einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Dabei muss die Verbesserung der Situation der Opfer von Menschenhandel im Mittelpunkt stehen.
Die Landesregierung geht konsequent gegen die unterschiedlichen Formen des Menschenhandels vor und unterstützt insbesondere Initiativen, die eine nachhaltige und kontinuierliche Reduzierung von Menschenhandel zum Ziel haben. Im Vordergrund stehen hierbei die Prävention, der Opfer- und Zeugenschutz, die Strafverfolgung sowie eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Behörden, Einrichtungen und Verbänden.
Der ganzheitliche Bekämpfungsansatz spiegelt sich auch in dem Gemeinsamen Runderlass zur Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Ausländer- und Leistungsbehörden, Jugendämtern, Agenturen für Arbeit und Fachberatungsstellen zum Schutz der Betroffenen des auf die sexuelle Ausbeutung gerichteten Menschenhandels (Gem. RdErl. d. MI, d. MS u. d. MJ vom 11.07.2008 - P 23.23-12334/15-4 - Kooperationserlass) wider.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Der Landesregierung ist nicht bekannt, warum die Bundesregierung die Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates in deutsches Recht nicht fristgerecht in die Wege geleitet hat.
Die Regelungen über das Vertragsverletzungsverfahren sind mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 verschärft worden. Die Mitgliedsstaaten müssen nun damit rechnen, bereits im Rahmen einer ersten Anrufung des Europäischen Gerichtshofs durch die Kommission mit einer empfindlichen Zahlungslast konfrontiert zu werden, weil es die Richtlinie nicht binnen der vorgegebenen Frist umgesetzt hat: In Betracht kommen - jeweils in Höhe mehrerer Millionen Euro - als Druckmittel für die Zukunft die Festsetzung eines Zwangsgeldes sowie als Abgeltung für die Vergangenheit die Festsetzung eines Pauschalbetrags. Pro Tag der Umsetzungssäumnis kann von Deutschland allein an Zwangsgeld mehr als € 800.000,- zu zahlen sein.
Zu 2. und 3.:
Auf die Vorbemerkung wird verwiesen.
Die Landesregierung wird zur effektiven und nachhaltigen Bekämpfung des Menschenhandels Kräfte und Kompetenzen bündeln und Maßnahmen aufeinander abstimmen.
Zur Verbesserung des Schutzes von Frauen, die Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung geworden sind, wird die Landesregierung die Arbeit der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung verstärken, die Zusammenarbeit mit den spezialisierten und bundesweit anerkannten Fachberatungseinrichtungen KOBRA (Zentrale Koordinierungs- und Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel) und SOLWODI (SOLidarity with WOmen in DIstress) intensivieren und deren Förderung fortsetzen.
Ferner wird der o. a. Kooperationserlass derzeit ressortübergreifend überarbeitet. Dabei gilt es, ihn auf seine Wirksamkeit zu überprüfen, an die geänderte Rechtslage sowie die Erfordernisse der Praxis anzupassen und dabei aktuelle Entwicklungen im Bereich des Menschenhandels zu berücksichtigen.
Darüber hinaus befürwortet die Landesregierung die Handlungsempfehlungen der Bund-Länder-Projektgruppe „Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes“, durch die sich der rechtliche Handlungsrahmen für die Ordnungs-, Polizei- und Strafverfolgungsbehörden verbessern könnte, nicht zuletzt durch die Einführung einer gewerberechtlichen Regulierung für Prostitutionsstätten.
Am 18. Juni 2013 hat die niedersächsische Landesregierung beschlossen, eine
Bundesratsinitiative zu ergreifen, die zum einen die Vorgaben der erwähnten EU-Richtlinie in strafrechtlicher Hinsicht umsetzt, zum anderen und vor allem aber die Effektivität und Kohärenz der Tatbestände zur Bekämpfung des Menschenhandels verbessert. Niedersachsen beabsichtigt, dem Bundesrat einen Gesetzentwurf zu unterbreiten, der dort noch vor der Sommerpause eingebracht werden soll.
Der Umsetzung der Richtlinie dienen die folgenden im niedersächsischen Entwurf enthaltenen Gesetzesänderungen:
• Erweiterung des Begriffs des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der
Arbeitskraft auf die Ausbeutung durch Betteltätigkeiten, die Ausnutzung strafbarer Handlungen und die Organentnahme.
• eine Strafschärfung, die bislang nur eingreift, wenn das Opfer des Menschenhandels ein Kind ist, gilt schon dann, wenn das Opfer unter 18 Jahre alt ist.
• Die Strafschärfungen, die bei Menschenhandelsdelikten bislang nur dann eingreifen, wenn der Täter das Opfer durch die Tat vorsätzlich in die Gefahr des Todes bringt, sollen künftig schon dann erfüllt sein, wenn dem Täter insoweit nur Leichtfertigkeit, was etwa dem Begriff der groben Fahrlässigkeit entspricht, zur Last zu legen ist.
• Die Menschenhandelsdelikte sollen auch in den Katalog derjenigen Straftaten aufgenommen werden, deren Verjährung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers ruht. Die Wirkung des Ruhens besteht darin, dass es den Beginn der Verjährungsfrist hinausschiebt oder den Weiterlauf einer bereits begonnenen Frist hemmt.
Der Gesetzentwurf soll neben der Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU aber auch die Effektivität und Kohärenz der Tatbestände zur Bekämpfung des Menschenhandels verbessern. Deshalb sieht der niedersächsische Entwurf darüber hinaus folgende Gesetzesänderungen vor:
• Der Strafrahmen für Menschenhandelsdelikte zum Nachteil eines Kindes soll auf 2 Jahre bis 15 Jahre Freiheitsstrafe erhöht werden. Wer ein Kind zur Aufnahme der Prostitution bringt, wird nach geltendem Recht mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Dieser Strafrahmen, der milder als beispielsweise der des Meineides (§ 154 StGB) ist, erscheint dem Unrechtsgehalt einer solchen verabscheuungswürdigen Tat nicht angemessen.
• Es wird ein neuer Straftatbestand „Sexueller Missbrauch von Menschenhandelsopfern“ eingeführt. Der Tatbestand erfasst insbesondere Freier, die die Dienste einer Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen und dabei deren Lage kennen. Nach
geltendem Recht machen sich Freier von Zwangsprostituierten regelmäßig nicht strafbar. Dies soll nicht länger hingenommen werden, da sie die typischerweise gegebene Schwächesituation der Menschenhandelsopfer ausbeuten.
• Schließlich sieht der Gesetzentwurf einen neuen Grundtatbestand des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft und anderweitiger Ausbeutung vor. Dies soll die Anwendung des Tatbestands, der bislang praktisch kaum zur Anwendung kommt, vereinfachen und dazu führen, dass er aus seinem bisherigen Schattendasein heraustritt. Dabei ändert sich nichts am Kriterium der ausbeuterischen Beschäftigung. Eine Beschäftigung, die bislang nicht als ausbeuterisch galt, tut es auch künftig nicht. Ziel des Gesetzentwurfs ist, diejenigen, die dafür sorgen, dass andere Menschen sich in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse begeben, leichter einer Bestrafung zuzuführen.
Dass zur Bekämpfung des Menschenhandels auch und sogar in erster Linie nicht-strafrechtliche Maßnahmen ergriffen werden müssen, ist der Landesregierung bewusst. Ein erster und wichtiger Schritt ist mit dem Gesetzentwurf aber getan.