Antwort auf die Mündliche Anfrage: „Wie viele Vollstreckungshaftbefehle sind in Niedersachsen offen?“
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 20. Februar 2015, Mündliche Anfrage Nr. 42
Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage Nr. 42 der Abgeordneten Mechthild Ross-Luttmann, Thomas Adasch und Otto Deppmeyer (CDU):
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Die Berliner Morgenpost berichtet in ihrer Ausgabe vom 28. Dezember 2014 über die Antwort der Berliner Senatsjustizverwaltung auf eine Anfrage des Grünen-Innenexperten Benedikt Lux. Dieser hatte gefragt, wie viele offene Vollstreckungshaftbefehle gegen rechtskräftig verurteilte Straftäter vorlägen. Laut Antwort des Berliner Senats waren zum 1. Dezember 2014 in Berlin exakt 6 884 Vollstreckungshaftbefehle offen, und gegenüber dem Vorjahr betrage die Steigerung knapp 10 %, berichtete die Berliner Morgenpost. 1 608 Verurteilte seien dabei ihrer Ladung zum Haftantritt nicht nachgekommen, in 5 276 Fällen seien Geldstrafen nicht gezahlt und dann die darauf verhängten Ersatzfreiheitsstrafen nicht angetreten worden.
Laut Berliner Morgenpost räumte der Grünen-Innenpolitiker Lux ein, dass es sich in den meisten Fällen um Täter handele, die eher geringfügige Taten begangen hätten oder als Wiederholungstäter aufgefallen seien. Wörtlich soll Lux aber gesagt haben: „Die Leute wurden verurteilt und Recht und Gesetz müssen durchgesetzt werden.“
Der Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für Justizvollzug und Straffälligenhilfe, Marco Brunotte, MdL, forderte in einer Presserklärung vom 14. Januar 2014 den Abbau mehrerer 100 überzähliger Haftplätze im niedersächsischen Justizvollzug. Wörtlich sagte er: „Wir haben in Niedersachsen aktuell 6 500 Haftplätze, aber nur circa 5 000 Gefangene.“
Wir fragen die Landesregierung:
- Wie viele offene Vollstreckungshaftbefehle gab es in Niedersachsen zu den Stichtagen 31. Dezember 2013 und 31. Dezember 2014?
- Wie erklärt die Landesregierung die Zahl offener Vollstreckungshaftbefehle, und welche Maßnahmen ergreift sie zur Vollstreckung offener Vollstreckungsbefehle?
- Stimmt die Landesregierung dem Berliner Innenpolitiker der Grünen Benedikt Lux zu, dass Recht und Gesetz auch im Fall von geringfügigen Taten durchgesetzt werden müssten?
Ministerin Niewisch-Lennartz beantwortet die Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
Der Landesregierung ist es nicht möglich, die Anzahl der offenen Vollstreckungshaftbefehle zu den angegebenen Stichtagen zu ermitteln.
Gesonderte Statistiken über die Anzahl der Vollstreckungshaftbefehle werden bei den Staatsanwaltschaften nicht geführt. Auch eine Möglichkeit zur EDV-gestützten statistischen Auswertung besteht nicht:
Der Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls erfolgt dezentral aus den jeweiligen Verfahrensakten und wird in der EDV der niedersächsischen Staatsanwaltschaften („web.sta“) nicht vermerkt. Aus dem bei den niedersächsischen Staatsanwaltschaften verwendeten Schreibprogramm „eSt.A“ wäre lediglich die Zahl der Aufrufe des Bausteins „Vollstreckungshaftbefehl“ feststellbar. Eine daraus ermittelte Zahl ließe aber keinerlei belastbare Rückschlüsse auf die tatsächliche Erstellung und Zustellung der Haftbefehle zu und hätte zudem keine Aussagekraft hinsichtlich des Standes der Erledigung bzw. der Laufzeit.
Die Anzahl offener Haftbefehle und die jeweiligen Gründe hierfür ließen sich nur durch die manuelle Auswertung sämtlicher Verfahrensakten ermitteln. Eine solche Maßnahme wäre mit vertretbarem Aufwand indessen nicht leistbar.
Aus der staatsanwaltschaftlichen Praxis ist der Landesregierung allerdings Folgendes bekannt:
Vollstreckungshaftbefehle werden nicht nur erlassen, um die Vollstreckung von Freiheitsstrafen zu erzwingen. Sie ergehen vielmehr überwiegend deshalb, weil ein Verurteilter eine Geldstrafe oder ein im Ordnungswidrigkeitenverfahren Betroffener ein Bußgeld nicht bezahlt hat. Die Vollstreckung von Haftbefehlen zur Durchsetzung von Bußgeldbescheiden bzw. für Ersatzfreiheitsstrafen ist Ultima Ratio, die säumige Schuldner zur Zahlung bewegen soll. In einer Vielzahl der Fälle, in denen die Verurteilten oder Betroffenen dazu in der Lage sind, wird die Verhaftung durch Zahlung letztlich tatsächlich abgewendet.
Eine automatisierte Selektion ist auch nicht aus dem niedersächsischen Fahndungsbestand der Polizei möglich, da ein nicht zu beziffernder Teil der Vollstreckungshaftbefehle aus Verhältnismäßigkeitsgründen (z. B. Ersatzfreiheitsstrafen, Deliktsart pp.) grundsätzlich nicht unmittelbar in das elektronische Fahndungssystem der Polizei (POLAS / INPOL) eingestellt, sondern von den Justizbehörden zunächst den örtlich zuständigen Polizeidienststellen zur unmittelbaren Erledigung/Vollstreckung übersandt wird. Die „Erledigungsquote“ dieser sogenannten „örtlichen Haftbefehle“ liegt, einer Erhebung aus 2013 zur Folge, in Niedersachsen bei über 90 %. Erst wenn die Fahndungsmaßnahmen der örtlichen Polizeidienststellen aus unterschiedlichsten Gründen erfolglos bleiben, wird durch die Justizbehörden die Ausschreibung zur Festnahme im elektronischen Fahndungssystem angeordnet und initiiert.
Infolge der Dynamik des Gesamtsystems - täglich werden von den sachbearbeitenden Polizeidienststellen Neuausschreibungen und Löschungen nach Fahndungserledigungen durchgeführt - ist eine retrograde Erhebung zu Stichtagen faktisch nicht möglich. Der Landesregierung ist schließlich kein Fall bekannt, in dem ein Vollstreckungshaftbefehl ergangen und nichts weiter veranlasst worden ist. Auch sind der Landesregierung keine zeitlichen Auffälligkeiten oder Schwierigkeiten bei dem Vollzug von Vollstreckungshaftbefehlen mitgeteilt worden. Der Vorhaltung von Haftplätzen bedarf es nach Auffassung der Landesregierung dementsprechend nicht.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Siehe Vorbemerkungen.
Zu 2.:
In der Praxis können Haftbefehle zur Geldstrafenvollstreckung und in Erzwingungshaftsachen nicht immer sofort vollstreckt werden: Die Haftbefehle werden der örtlichen Polizei zum Vollzug übersandt. Die betroffenen Personen müssen in vielen Fällen dann gesucht und gefunden werden. Sind diese unbekannten Aufenthalts wird durch die Justiz die Fahndung veranlasst. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen.
Zu 3.:
Ja.
Artikel-Informationen
erstellt am:
20.02.2015
Ansprechpartner/in:
Frau Marika Tödt
Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5043
Fax: 0511 / 120-5181