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Antwort auf die Mündliche Anfrage: „Werden „Reichsbürger“ in Niedersachsen zu einem Problem? (Teil 1)“

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 28. Oktober 2016, Mündliche Anfrage Nr. 41


Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage Nr. 41 der Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen, Dr. Marco Genthe und Björn Försterling (FDP):

Vorbemerkung der Abgeordneten

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtet am 7. Oktober 2016, dass die sogenannten Reichsbürger zunehmend zu einem Problem für Behörden und Justiz in Niedersachsen werden. So würden neuerdings Behörden in der Region Hannover mit pseudojuristischen Widersprüchen überschüttet und Verwaltungsangestellte drangsaliert. Die Region Hannover reagierte bereits mit einem Rundschreiben an ihre Mitarbeiter.

Auch der Niedersächsische Richterbund reagiert auf die Vorkommnisse und fordert das Justizministerium zum Handeln auf. Der Landesvorsitzende Frank Bornemann wird mit den Worten zitiert: „Wir brauchen eine Strategie, wie wir den ‚Reichsbürgern‘ entgegentreten können“. Sie stellten in den Gerichtssälen zunehmend ein Sicherheitsrisiko dar, so Bornemann, und er fordert in diesem Zuge mehr Wachpersonal in den Gerichtssälen.

Vorbemerkung der Landesregierung

Der Umgang mit schwierigen, in Einzelfällen sogar gefährlichen Personen gehört seit jeher zum Alltag von Behörden und Gerichten in Niedersachsen. Insoweit ist das Auftreten auch von Personen, die die Autorität und Legitimität von Verwaltungs- oder Justizangehörigen grundlegend in Frage stellen, für sich genommen nichts Neues. Von neuer und erheblicher Qualität ist allerdings zum einen die - auch durch die Nutzung von sozialen Netzwerken - rasche Verbreitung stereotyper, im Kern verfassungsfeindlicher Argumentationsmuster, mit denen die Legitimität der Bundesrepublik verneint und der Fortbestand des Deutschen Reiches propagiert wird. Zum anderen stellt das Auseinanderfallen der sogenannten Reichsbürger oder Germaniten in autark handelnde Einzelpersonen sowie Gruppierungen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich unterscheiden, Verwaltung und Justiz vor eine besondere Herausforderung. Eine abstrakt-generelle Gefährdungseinschätzung ist bei dieser Ausgangslage nicht möglich.

1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Aktivitäten der „Reichsbürger“ in Niedersachsen?

Allgemein stellen die sogenannten Reichsbürger oder Germaniten nach Einschätzung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes keine einheitliche Bewegung dar und ist vor allem deshalb auch in ihrer Gesamtheit kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörde. Sie setzen sich vielmehr aus autark handelnden Einzelpersonen sowie Gruppierungen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich unterscheiden. Das Spektrum reicht von politisch interessierten Trachtenvereinen über esoterisch geprägte Gruppen bis hin zu rechtsextremistisch motivierten Personenzusammenschlüssen, die der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegen. Allen Erscheinungsformen ist gemein, dass sie die Legitimität der Bundesrepublik negieren und den Fortbestand des Deutschen Reiches propagieren, dessen Vertretungsrecht sie für sich reklamieren. Teilweise werden zusätzlich revisionistische und antisemitische Positionen vertreten, die dann eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen.

In Niedersachsen ist aus dem gesamten Spektrum die „Exilregierung Deutsches Reich“ als Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes eingestuft. Die Gruppierung strebt die Reorganisation des „Deutschen Reiches“ in den Grenzen von 1937 an, sie verunglimpft die Bundesrepublik Deutschland als „Besatzungskonstrukt“ und veröffentlicht auf ihrer Internetseite mitunter antisemitische und fremdenfeindliche Verschwörungstheorien. Ihr gehören aktuell ca. 25 Mitglieder an. Sie verfügt über verfestigte Strukturen. Die Aktivitäten beschränken sich auf mehr oder weniger regelmäßige Treffen und gelegentliche Ausflüge. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten gehen von der „Exilregierung“ nicht aus.

Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat – insbesondere in den beiden letzten Jahren – eine deutliche Zunahme von Aktivitäten festgestellt, die der äußerst heterogenen Reichsbürgerbewegung zugerechnet werden. Verallgemeinerbare Äußerungen über etwaige gewalttätige Ausrichtungen lassen sich in Bezug auf dieses Personenpotenzial nicht treffen. Da es aus Sicht des Niedersächsischen Verfassungsschutzes keine erkennbare Steuerung der Aktivitäten gibt, müsste eine Gefahrenprognose auf die Disposition einzelner Reichsbürger abstellen. Anhand der hier vorliegenden Erkenntnisse ist von einer hohen Quote von Querulantentum auszugehen. Als besonders problematisch erweist sich, dass Reichsbürger staatliches Handeln nicht akzeptieren. Bei der Umsetzung präventiver und repressiver behördlicher Maßnahmen sind mögliche gewalttätige Aktionen seitens der sogenannten Reichsbürger einzukalkulieren.

In wenigen Fällen haben sich sogenannte Reichsbürger schriftlich an die Niedersächsische Staatskanzlei gewandt. Hier handelte es sich zumeist um Fälle, die ihren Ursprung in dem jeweiligen Geschäftsbereich der anderen Ministerien genommen haben. Aufgrund des verfassungsmäßigen Ressortprinzips (Artikel 37 NV) wurden diese Eingaben routinemäßig an das jeweils zuständige Ministerium abgegeben. Der Niedersächsischen Staatskanzlei ist darüber hinaus bekannt, dass sich sogenannte Reichsbürger auch an Dienststellen im nachgeordneten Bereich gewandt haben. Dort sind sie in unterschiedlichen Standorten des Niedersächsischen Landesarchivs aufgetreten und haben z. B. zunächst Auszüge aus Personenstandsregistern erbeten und dann insgesamt die Echtheit der Unterlagen und die Berechtigung des Landesarchivs zur Betreuung der Unterlagen, zur Ausstellung von Kopien und zur Beglaubigung in Frage gestellt. Ferner sind beim Amt für regionale Landesentwicklung Braunschweig Personen vorstellig geworden, die die Existenzberechtigung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Behörden verneinen.

Dem Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport ist bekannt, dass sich insbesondere die Kommunen zunehmend mit in der Sache rechtlich unbegründeten Anfragen und Anträgen sogenannter Reichsbürger konfrontiert sehen, die einen steigenden Verwaltungsaufwand verursachen. Betroffen sind u. a. die Bereiche Melde-, Personalausweis- und Staatsangehörigkeitsrecht. Die Thematik „Reichsbürger“ war bereits Gegenstand von Besprechungen mit nachgeordneten Behörden.

Auch dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung sind Einzelfälle aus dem nachgeordneten Bereich bekannt.

Dem Niedersächsischen Kultusministerium sind aus seinem Geschäftsbereich drei Einzelfälle bekannt, bei denen Personen als sogenannte Reichsbürger aufgetreten sind. In zwei Fällen handelte es sich um Erziehungsberechtigte, die sich mit einer Beschwerde jeweils an eine Schule gewandt haben; in einem Fall wurde die Polizei eingeschaltet, im anderen Fall hat die Schule durch Beratungsgespräche erreicht, Akzeptanz für die geltende Rechtslage herbeizuführen. Im Rahmen des dritten bekannten Sachverhalts wurden nach diffusen Vorwürfen Maßnahmen zum Schutz der Bediensteten der Behörde eingeleitet.

Dem Niedersächsischen Finanzministerium ist bekannt, dass sich die niedersächsischen Finanzämter wie auch die Oberfinanzdirektion Niedersachsen im Rahmen ihrer Vollstreckungstätigkeit seit mehreren Jahren in nicht unerheblicher Zahl Reichsbürgern gegenübersehen. Gegen nachteilige Verwaltungsentscheidungen machen diese geltend, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht existiere, ihre Steuergesetze daher unwirksam seien und den Bediensteten die Legitimation fehle. Wie bereits in der Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums vom 4.2.2016 zur Kleinen Anfrage des Abgeordneten Thomas Adasch (CDU) „Reichsbürger nerven die Justiz“ – Was tut Justizministern Antje Niewisch-Lennartz zum Schutz von Justizbediensteten? (Drucksache 17/5107) ausgeführt worden ist, wurden in insgesamt 69 Fällen zwischen 2013 und 2015 Bedienstete der niedersächsischen Finanzverwaltung von sogenannten Reichsbürgern belästigt, bedroht oder es wurde ihnen oder ihren Angehörigen nachgestellt.

Dem Niedersächsischen Justizministerium ist bekannt, dass an den niedersächsischen Gerichten sogenannte Reichsbürger einen erhöhten Bearbeitungsaufwand sowie zum Teil auch gesteigerte Sicherheitsmaßnahmen - etwa in einzelnen Gerichtsverhandlungen - verursachen. Besonders betroffen erscheint nach dem Bericht des Oberlandesgerichts Celle der Arbeitsbereich der Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher im Außendienst. Die niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen haben zum Teil ebenfalls von Einzelfällen berichtet, in denen sogenannte Reichsbürger durch eine Vielzahl von Beschwerden und durch mangelnde Kooperation einen erhöhten Aufwand verursacht haben. Erhöhte Sicherheitsanforderungen hätten sich aber, so die Berichte der betroffenen Justizvollzugsanstalten, in diesen Fällen jeweils nicht ergeben. Die Thematik „Reichsbürger“ war bereits Gegenstand von Besprechungen mit den Obergerichten und Generalstaatsanwaltschaften.

Die übrigen obersten Landesbehörden haben keine Erkenntnisse über Aktivitäten von sogenannten Reichsbürgern aus ihren jeweiligen Geschäftsbereichen.

2. Gibt es eine Strategie, wie mit dieser Thematik seitens der Verwaltung und der Gerichte verfahren werden soll, um u. a. die Mitarbeiter zu schützen?

Die Sicherheit der Angehörigen der Verwaltung und der Justiz sowie von deren Besucherinnen und Besuchern ist der Landesregierung ein zentrales Anliegen. Der Katalog möglicher Maßnahmen der Behörden und Gerichte vor Ort reicht bis zum Hausverbot und ggf. auch Strafanzeigen. In Bezug auf die Herausforderungen, die der Umgang mit sogenannten Reichsbürgern und Zugehörigen ähnlichen Personengruppen darstellt, richten sich die Bemühungen im Besonderen darauf, Verwaltungs- und Justizangehörige in die Lage zu versetzen, Gefährdungssituationen durch Besucherinnen und Besucher zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.

Ein bewährtes Instrument zur Verbreitung grundlegender Verhaltensregeln im Umgang mit schwierigen Personen sind Handreichungen. In Bezug auf den Umgang mit sogenannten Reichsbürgern und ähnlicher Personen gibt es zahlreiche Handreichungen, die den Verwaltungs- und Justizangehörigen in Niedersachsen bereits zur Verfügung stehen.

Das Niedersächsische Justizministerium wird darüber hinaus aufgabenbezogene Handreichungen für die unterschiedlichen Bereiche der niedersächsischen Justiz ausarbeiten und den Gerichten und Staatsanwaltschaften noch in diesem Jahr zur Verfügung stellen. Es wird auch eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner im Justizministerium benennen, an die sich Justizangehörige mit Fragen zum Umgang mit Reichsbürgern wenden können.

Für die niedersächsischen Finanzämter hat die Oberfinanzdirektion Niedersachsen bereits in mehreren Verfügungen – die letzte datiert vom 28.9.2016 - ihren Bediensteten detaillierte Empfehlungen zum Umgang mit den Reichsbürgern an die Hand gegeben. Diese werden auch für die Vollstreckungstätigkeit der Oberfinanzdirektion sinngemäß angewandt. In Konfliktfällen steht die Oberfinanzdirektion mit ihrem Justiziariat bereit, um die Finanzämter und betroffene Beschäftigte zu beraten.

Ergänzend zu Handreichungen bieten Verwaltung und Justiz in Niedersachsen Fortbildungen zum Umgang mit schwierigen Personen an. Darüber hinaus klärt der Niedersächsische Verfassungsschutz im Rahmen seiner Vorträge zum Thema Rechtsextremismus, im Rahmen von Lehrerfortbildungen und bei Führungen durch die Wanderausstellung „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“ über das Thema Reichsbürger auf.

Anträge von Landesbediensteten auf Gewährung von Rechtsschutz im Zusammenhang mit Forderungen bzw. Strafanzeigen sogenannter Reichsbürger werden unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls wohlwollend geprüft.

Die Landesregierung nimmt ihre Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr ernst und prüft fortwährend, welche weiteren Maßnahmen erforderlich sind, um Bedienstete des Landes vor Aktivitäten der sogenannten Reichsbürger zu schützen.

3. Was steht in dem genannten Rundschreiben?

Der Landesregierung ist der Inhalt des genannten Schreibens nicht bekannt.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
28.10.2016

Ansprechpartner/in:
Frau Wiebke Israel

Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511/120 - 5044

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