Antwort auf die Mündliche Anfrage: „Integrationsförderung durch „Rechtsstaatsklassen““
Sitzung des Nds. Landtages am 24. November 2016, Mündliche Anfrage Nr. 17
Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage Nr. 17 der Abgeordneten Petra Joumaah (CDU):
Vorbemerkung der Abgeordneten
In Hessen ist im Mai 2016 von der dortigen Landesregierung das Integrationsprojekt „Fit für den Rechtsstaat“ etabliert worden. Auf ehrenamtlicher Basis engagieren sich in dem Projekt Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger, um interessierten Asylsuchenden die Grundlagen des deutschen Rechtsstaates zu vermitteln. Behandelt werden Themen wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die sexuelle Selbstbestimmung, Familienrecht, Vertragsrecht oder das deutsche Straf- und Asylrecht. Das Interesse ist groß: Bis Anfang Oktober 2016 haben bereits 5 708 Asylsuchende an den an 38 Standorten in Hessen stattfindenden Kursen teilgenommen. Die Hessische Landesregierung will das Projekt im kommenden Jahr fortführen und plant dafür 200 000 Euro ein.
1. Wie beurteilt die Landesregierung den Wert dieses Projekts für die Integration?
Menschen, die sich in Deutschland vorübergehend aufhalten oder längerfristig hier leben und die deutsche Sprache ebenso wie das deutsche Recht nicht kennen sind im Alltag und in der Integration benachteiligt. Die Forderung, sich an bestimmte, hier geltende Regeln zu halten impliziert die - möglichst frühzeitige - Vermittlung der Kenntnis dieser Regeln. Dies gilt in besonderem Maße für die in Gesetzen festgelegten Regeln des täglichen Miteinanders und der strafbewehrten Verbote. Für die Kinder ist dies durch den Besuch von Kindertageseinrichtungen und die geltende Schulpflicht in höherem Maße gewährleistet. Für Jugendliche und Erwachsene gilt dies hingegen nicht. Deshalb ist grundsätzlich ein Konzept erforderlich, mit dem die Informationen zum deutschen Recht insbesondere für Flüchtlinge unterschiedlichster Herkunft kultursensibel und niedrigschwellig vermittelt werden. Dies dient unmittelbar der Erleichterung des alltäglichen Zusammenlebens in der Gesellschaft und damit letztlich auch der Integration.
Die Justizministerkonferenz hat dies in ihrer Frühjahrskonferenz vom 1. und 2. Juni 2016 einstimmig bestätigt und den Beschluss zur Rechtsbildung für Flüchtlinge und Asylbewerber dahingehend gefasst, dass Konzepte, Flüchtlinge und Asylbwerber frühzeitig und direkt zu Grundprinzipien unseres freiheitlich-demokratischen Staatswesens und unseres Straf- und Zivilrechts zu unterrichten, zur gelingenden Integration einen wesentlichen Beitrag leisten können. Das in der Ausgangsfrage beschriebene Projekt steht mit dieser Beschlusslage in Zusammenhang.
2. Gibt es vergleichbare flächendeckende Angebote in Niedersachsen, in denen Fachleute aus dem Justizbereich ehrenamtlich aus erster Hand juristisches Fachwissen in verständlicher Form an Menschen aus anderen Kulturkreisen vermitteln?
Ein flächendeckendes vergleichbares Angebot wird durch das Justizministerium nicht vorgehalten.
3. Falls nein zu 2.: Wird die Landesregierung ein solches vom ehrenamtlichen Engagement getragenes Projekt ins Leben rufen?
Das Programm „Fit für den Rechtsstaat – Fit für Hessen!“ versteht sich als Ergänzung zu den derzeit bestehenden Integrationsangeboten und zielt auf Flüchtlinge und Asylsuchende ab. Es ist auf Freiwilligkeit angelegt und lebt vom persönlichen Austausch der Menschen. Inhaltlich werden die wichtigsten Grundrechte wie die Religionsfreiheit, die Gleichberechtigung, Demokratie und Rechtsstaat dargestellt sowie ganz praktische Elemente, etwa Erwartungshaltungen beim Einkaufen, die Schulpflicht oder Fragen der Gültigkeit der Ehe dargestellt. Es wurden auch sensible Themen in den Lehrplan aufgenommen. So etwa die Ereignisse in Köln und das dahinter stehende Frauenbild, das Thema Familienehre, Homosexualität und Anwerbungsversuche von Salafisten.
Die Planung und Umsetzung eines neuen vergleichbaren Projektes in Niedersachsen würde einen entsprechenden, auf längere Zeit ausgerichteten Bedarf voraussetzen. Die im hessischen Projekt vermittelten Inhalte finden sich jedoch in dem Curriculum für einen bundesweiten Orientierungskurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und hier insbesondere in der überarbeiteten und erweiterten Fassung, die 2017 in Kraft tritt, wieder.
In § 43 Abs. 3 S. 1 Aufenthaltsgesetz wird „ein Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland“ gefordert. Die Integrationskursverordnung (IntV) präzisiert diese Vorgabe und definiert in § 3 Abs. 1 Nr. 2 IntV als Ziel des Kurses die „Vermittlung von Alltagswissen sowie von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland, insbesondere auch der Werte des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit.“
Mit der Erweiterung des bundesweiten Orientierungskurses geht eine Erhöhung der Stundenzahl von 60 auf 100 Unterrichtseinheiten (UE) einher. Die wichtigsten Eckpunkte des neuen Curriculums sind:
- Systematische Hervorhebung der Bedeutung der Verfassungsprinzipien, Grundrechte und Werte für ein gedeihliches gesellschaftliches Miteinander an allen relevanten Stellen des Curriculums.
- Durchgehende Ausrichtung auf eine wertebasierte politische Bildung und Förderung von gesellschaftlicher Teilhabe.
- Tiefere Identifikation der Teilnehmenden mit den Lerninhalten durch Bezug und Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswirklichkeit und der deutschen Gesellschaft.
- Grundrechte und demokratische Prinzipien als Maßstab und Rahmen für die eigenständige Bewertung und individuelle Verortung der Teilnehmenden.
Der im Vergleich zum bisherigen Curriculum mehr als doppelt so große Umfang des Moduls „Mensch und Gesellschaft" trägt der zunehmenden Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher, kultureller und religiöser Vielfalt und des damit einhergehenden Ziels eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen Rechnung. Dies betrifft insbesondere die Themenbereiche religiöse Toleranz und Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Die vorgegebenen Themenbereiche zu Geschichte, Rechtsordnung und Kultur werden so ausgelegt, dass sie sich auf der Basis der zuvor von den Migrantinnen und Migranten gemachten Erfahrungen in Deutschland vermitteln lassen und diesen bei der gegenwärtigen und zukünftigen Orientierung im Alltag zugutekommen. Alle drei Themenbereiche des Curriculums verfügen über eine wertebasierte Ausrichtung. Im Vordergrund steht dabei die Bedeutung der Verfassungsprinzipien und Grundrechte im Grundgesetz für ein selbstbestimmtes Leben und ein konstruktives gesellschaftliches Miteinander.
Unter Berücksichtigung der in § 44 Aufenthaltsgesetz festgelegten Zulassungsvoraussetzungen hat der überwiegende Teil der als Flüchtlinge oder Asylsuchende zugewanderten Menschen mit dauerhafter Aufenthaltsperspektive Zugang zu den Integrations- bzw. Orientierungskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Niedersächsische Landesregierung setzt sich darüber hinaus auf Bundesebene u.a. mit einem Beschlussvorschlag zur Integrationsministerkonferenz 2017 für eine weitergehende Öffnung der Integrationskurse für Asylbewerberinnen und -bewerber unabhängig vom Herkunftsland bzw. von der Bleibeperspektive ein.
Die Etablierung eines gesonderten Projektes zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland, insbesondere auch der Werte des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit würde zu Parallelstrukturen führen und wird daher seitens der Landesregierung nicht befürwortet.
Sollte sich ein gesonderter Informationsbedarf für besondere Gruppen von Geflüchteten zu Fragen der Rechtsordnung ergeben, wird die Fachstelle Opferschutz im Justizministerium unter dem Gesichtspunkt der Prävention ein entsprechendes Konzept fertigstellen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
24.11.2016
Ansprechpartner/in:
Frau Katja Josephi
Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044