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Rede der Niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza im Niedersächsischen Landtag zu TOP 34 a) Fragestunde „Für mehr Opferschutz in Niedersachsen - was plant die Justizministerin?“ Anfrage der Fraktion der CDU – Drs. 18/5060

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 21. November 2019, TOP 34 a


Es gilt das geprochene Wort!

„Der beste Opferschutz besteht darin, Straftaten zu verhindern. Dafür tun wir im Justizministerium gemeinsam mit dem Landespräventionsrat eine Menge – sei es beim Schutz vor Wohnungseinbrüchen oder bei der Prävention von sexuellem Missbrauch. Kommt es dennoch zu einer Tat, so kommen die Betroffenen häufig erstmals in ihrem Leben mit der Justiz in Kontakt. Viele von ihnen haben hinsichtlich des Strafverfahrens Fragen und vielleicht auch Zweifel und Ängste. Weil sie befürchten, dass ausschließlich die Täterin oder der Täter im Mittelpunkt steht. Oder weil sie sich sorgen, dass man als Opfer mit seinen Nöten allein gelassen wird.

Es trifft fraglos zu, dass das deutsche Strafrecht auf den Täter ausgerichtet ist. Es ist eben ein Strafrecht und kein Opferrecht. Betroffene einer Straftat kommen, wenn sie nicht als Nebenkläger zugelassen werden, lediglich als Zeuginnen und Zeugen zu Wort. Weil es im Strafverfahren vor allem darum geht, die konkrete Schuld der Täterin oder des Täters festzustellen und eine konkrete Strafe für diese Tat zu verhängen.

Dies bedeutet aber nicht, dass Opfer von Straftaten keine Rechte haben. Oder dass man sie nicht unterstützen könnte. Wenn Menschen durch eine Straftat verletzt worden sind, sind der Staat und die Gesellschaft sogar in der Pflicht, den Betroffenen zu helfen.

In den vergangenen Jahren konnte in Niedersachsen die Situation und Stellung von Kriminalitätsopfern immer weiter verbessert und gestärkt werden.

Dies geschieht zum Beispiel im gesamten Strafverfahren durch das Instrument der psychosozialen Prozessbegleitung. Und es geschieht außerhalb des Strafverfahrens durch Stiftungen und Opferhilfebüros; durch Beratungsstellen, durch hilfreiches Informationsmaterial für Kriminalitätsopfer und durch finanzielle Unterstützung.

Eine Situation, die Opferschutzstrukturen in besonderem Maße fordert, entsteht bei solchen Ereignissen und Straftaten, die eine große Anzahl von Verletzten nach sich ziehen. Terroranschläge und Amokläufe sind bisher glücklicherweise absolute Ausnahmen in Deutschland. Die traurigen Fälle aus der Vergangenheit, wie beispielsweise der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz zeigen, dass der Opferschutz in diesen Fällen eine ganz besondere Herausforderung ist. Denken Sie aber auch an die schrecklichen Geschehnisse in Lügde. Für solche Fälle müssen wir gewappnet sein, weil rasche Hilfe bei der Bewältigung der Folgen hilft und langfristige Belastungen der Opfer vermeiden kann. Die Lehren aus dem Anschlag vom Breitscheidplatz müssen bundesweit gezogen werden. Und das haben wir in Niedersachsen in relativ kurzer Zeit getan.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zur Frage 1: Wie ist der Opferschutz in Niedersachsen organisiert?

Das Land Niedersachsen verfügt über eine etablierte und bewährte Hilfsstruktur, die sich an alle Betroffenen von Straftaten richtet – vom Diebstahl bis hin zum Terroranschlag.

Ganz generell ist zwischen psychosozialen Hilfen, finanziellen Hilfen und zentralen Anlaufstellen zu unterscheiden. Von justizieller Seite aus sind hier insbesondere die Stiftung Opferhilfe, die bereits genannte psychosoziale Prozessbegleitung und die Fachstelle Opferschutz anzuführen. Für schwer traumatisierte Betroffene ist das Trauma-Netzwerk Niedersachsen ansprechbar, welches durch das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie koordiniert wird. Und, ganz wichtig: Seit dem 1. November 2019 haben wir mit dem unabhängigen Landesbeauftragten für den Opferschutz zusätzlich eine zentrale Anlaufstelle im Niedersächsischen Justizministerium etabliert.

Was bedeuten diese Angebote im Einzelnen?

Mit der Stiftung Opferhilfe verfügen wir im Flächenland Niedersachsen über eine umfassende, dezentrale Struktur des Opferschutzes. Die Stiftung wurde von der Niedersächsischen Landesregierung im September 2001 errichtet.

In allen elf Landgerichtsbezirken ist ein Opferhilfebüro ansässig, so dass man von einer flächendeckenden Versorgung für alle Opfer von Straftaten sprechen kann. In den Opferhilfebüros sind professionelle, kompetente und hochqualifizierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter tätig, die den Betroffenen vor Ort beistehen und sie dabei unterstützen, ihre Rechte zu wahren.

Auf diese Weise leisten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung Opferhilfe Niedersachen tagtäglich wertvolle Unterstützung und verantwortungsvolle Arbeit. Den Kolleginnen und Kollegen vor Ort an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für ihre wichtige Arbeit.

Die psychosoziale Prozessbegleitung wird in Niedersachsen von 54 qualifizierten Fachkräften angeboten. Das Angebot erstreckt sich auf alle elf Landgerichtsbezirke. Die Fachkräfte sind regional untereinander sehr gut vernetzt. Bei der psychosozialen Prozessbegleitung handelt es sich um eine umfassende Form der Begleitung für besonders schutzbedürftige Verletzte von Straftaten, wie beispielsweise Kinder und Jugendliche und Sexualopfer. In allen Landgerichtsbezirken stellen wir eine hohe und steigende Nachfrage nach dem Angebot der psychosozialen Prozessbegleitung fest.

Bei der Versorgung der Opfer von Gewalttaten stehen die teilweise sehr schweren psychischen Traumatisierungen oft im Vordergrund. Das Trauma-Netzwerk Niedersachsen bietet den Betroffenen eine fachkompetente therapeutische Soforthilfe zur Behandlung ihres Traumas an. Landesweit stehen 22 Kliniken und Institutionen für Betroffene im Erwachsenenalter sowie 10 Einrichtungen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung, die auch im Falle von sog. Großschadensereignissen – also einem Anschlag oder einem Unglück, denken Sie hier z. B. an ein Unglück wie das anlässlich der Love Parade in Duisburg, – psychosoziale Unterstützung und Hilfe anbieten können.

Sollte es eine Vielzahl von Verletzten geben wurde ein Notfallkonzept entwickelt, mit dem ein möglichst zügiger und reibungsloser Ablauf bei der Bearbeitung von Entschädigungsansprüchen gewährleistet werden soll.

Über all diese und weitere Angebote können sich Betroffene und Angehörige über die landeseinheitliche Internetpräsenz www.opferschutz-niedersachsen.de informieren, die von der Fachstelle Opferschutz in meinem Hause betreut wird.

Sie sehen, meine Damen und Herren, das Land Niedersachsen ist im Bereich des Opferschutzes dezentral bereits sehr gut aufgestellt. Allerdings gilt es auch zu bedenken, dass ein Anschlag oder ein großes Unglück eine zunächst unübersichtliche und chaotische Situation darstellt, die zusätzlicher zentraler Ansprechstrukturen für Betroffene und Angehörige bedarf.

Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben im Juni 2018 daher beschlossen, dass zentrale Strukturen im Bereich des Opferschutzes auf Bundes- wie auf Länderebene erforderlich sind und eingerichtet werden sollen.

Niedersachsen ist das sechste Bundesland, das nach Prüfung der vorhandenen Strukturen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Handlungsbedarf hinsichtlich der Ein­setzung eines zentralen Opferschutzbeauftragten als Ansprechpartner für alle Betroffenen von Gewalt und Kriminalität sowie insbesondere für Betroffene von Großschadensereignissen besteht.

Deshalb hat das Land Niedersachsen mit Kabinettsbeschluss Herrn Leitenden Oberstaatsanwalt a.D. Thomas Pfleiderer mit Wirkung zum 1. November 2019 zum Niedersächsischen Landesbeauftragten für Opfer­schutz ernannt. Der Landesbeauftragte übt seine Funktion ehrenamtlich sowie sachlich unabhängig und frei von Weisungen aus. Er wird durch eine mit hauptamtlichem Personal besetzte Geschäftsstelle im Niedersächsischen Justizministerium unterstützt.

Zu Frage 2: Gibt es in anderen Ländern ebenfalls eine zentrale Stelle und damit einen Ansprechpartner für Opferschutz?

In den Ländern ist der Aufbau entsprechender Strukturen bislang unterschiedlich weit entwickelt. Neben Niedersachsen verfügen erst fünf Länder über Opferschutzbe­auftragte mit einer Geschäftsstelle. Dieses sind die Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Sachsen-Anhalt und Hessen wollen zum 1. Januar 2020 bzw. 1. April 2020 Beauftragte oder zentrale Anlaufstellen einrichten. In den übrigen Ländern befinden sich Strukturen erst im Aufbau. Die Länder tauschen sich regelmäßig im Rahmen von Fachgesprächen aus. Organisator ist das BMJV. Das letzte Fachgespräch hat am 13. November 2019 stattgefunden.

Zu Frage 3: Welche Aufgaben hat der von der Landesregierung berufene Beauftragte für Opferschutz?

Der Landesbeauftragte ist Ansprechpartner für alle Opfer von Gewalt und Straftaten sowie großen Schadensereignissen. Das gilt auch für die Angehörigen der Opfer. Er leistet gemeinsam mit seinem Team die Erstberatung im Sinne eines „Clearings“ und er vermittelt eine geeignete Unterstützung. Dies setzt eine exzellente Kenntnis der bestehenden Strukturen voraus. Eine weitere Aufgabe des Opferschutzbeauftragten wird auch sein, sich landes- und bundesweit mit Opferschutzorganisationen zu vernetzen. Dieser notwendige Überblick über bestehende Hilfsangebote dient auch dazu, mögliche Lücken zu erkennen und zu schließen.

Vor allem aber ist der Landesbeauftragte das „Gesicht der Opferhilfe“. Er wird sich dafür einsetzen, dass die Themen „Opferschutz und Opferhilfe“ die erforderliche gesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangen, die sie verdienen.

Im hoffentlich nicht eintretenden Fall der Fälle wird die Geschäftsstelle des Landesbeauftragten die Abstimmung mit der Geschäftsstelle für Opfer von Terroranschlägen des Bundes und ggf. dem Büro des Generalbundesanwalts vornehmen. Die Erfahrungen aus dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz haben gezeigt, dass eine aktive Kontaktaufnahme zu Betroffenen bei größeren Schadensereignissen von größter Bedeutung ist. Auch die Organisation und Moderation von Veranstaltungen für Überlebende und Hinterbliebene zur gemeinsamen Verarbeitung, Vernetzung und Beantwortung möglicher Fragen wird zu den Aufgaben des Landesbeauftragten gehören. Ebenso die Gestaltung von öffentlichen Gedenk- und Trauerfeiern.

Die Opferschutzstrukturen in Niedersachsen sind im bundesweiten Vergleich vorbildlich. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht noch verbessert werden kann. Die Niedersächsische Landesregierung wird hier definitiv am Ball bleiben. Ich erinnere an dieser Stelle an die Missbrauchsereignisse rund um die katholische Kirche oder in Lügde. Diese haben uns vor Augen geführt, dass wir handeln müssen. Und das tun wir auch.“


Justizministerin Havliza hält eine Rede im Landtag  

Artikel-Informationen

erstellt am:
21.11.2019

Ansprechpartner/in:
Herr Christian Lauenstein

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044

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