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Rede der Niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza

Entschließungsantrag zur „Haftentschädigung/Wiedereingliederung“


Es gilt das gesprochene Wort!


„Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

strafrechtliche Fehlurteile kommen glücklicherweise nur sehr selten vor. Doch wenn es sie gibt, dann muss in einem funktionierenden Rechtsstaat Verantwortung übernommen werden.

Diese Verantwortungsübernahme gliedert sich in drei Aspekte: Den Aspekt der Entschädigung, den Aspekt der effektiven Unterstützung und den Aspekt der Rehabilitation einer zu Unrecht inhaftierten und verurteilten Person.

Das Gesetz über die Entschädigung für strafprozessuale Maßnahmen regelt die Möglichkeiten der Entschädigung. Es sieht neben dem Ausgleich für Vermögensschäden auch eine sog. Haftpauschale vor. Diese gewährt immateriellen Schadensersatz für die erlittenen Hafttage.

Sie werden mir sicher zustimmen, dass das hohe Gut der Freiheit unbezahlbar ist.

Wie hoch also soll die Entschädigung für einen erlittenen Tag der Unfreiheit sein? Darauf hat jeder sicher eine individuelle Antwort. Einigkeit bestand darin, dass die bisher gewährte Haftpauschale in Höhe von 25 Euro pro Tag unangemessen niedrig ist. Deshalb ist vor allem Niedersachsen neben anderen Bundesländern dafür eingetreten, statt der zunächst vorgesehenen Verdoppelung eine Verdreifachung der Haftpauschale auf 75 Euro pro Hafttag vorzunehmen.

Diese ist seit dem 3. Gesetz zur Änderung des StrEG vom 30.9.2020 seit dem 08.10.2020 nun Wirklichkeit. Eine Entscheidung, die längst überfällig war. Damit dürfte sich Ziffer 1 des Entschließungsantrages der FDP-Fraktion erledigt haben.

Es verbleiben die Aspekte der effektiven Unterstützung und Rehabilitation, die beide Anträge anmahnen. Was kann man tun, um eine zu Unrecht verurteilte Person bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft effektiv zu unterstützen?

Das Wiederaufnahmegericht prüft stets von Amts wegen die Zulässigkeit der weiteren Inhaftierung. Deshalb kommt es oft von heute auf morgen zu einer Entlassung. Das sog. Übergangsmanagement der Justizvollzugsanstalten greift im Wiederaufnahmeverfahren nicht, weil es mit langem zeitlichen Vorlauf zum errechneten Haftende diverse individuelle Maßnahmen vorsieht.

Die Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalten endet zudem mit der formalen Entlassung aus der Haft. Die Stiftung Opferhilfe Niedersachsen ist nur zuständig, wenn die im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochene Person selbst Opfer einer Straftat geworden ist.

Damit gibt es gegenwärtig keine offiziell zuständige Stelle für den Personenkreis der zu Unrecht Verurteilten. Es besteht damit Handlungsbedarf. Insoweit ist der Fraktion der FDP und auch den Regierungsfraktionen zuzustimmen.

Die Zahl der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen ist äußerst gering. In Niedersachsen gab es seit dem Jahr 2005 nur zwei ehemalige Strafgefangene, die im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wurden.

Doch: Was benötigt eine Person, die von jetzt auf gleich aus einer möglicherweise seit Jahren vollstreckten Strafhaft entlassen wird? Sie braucht eine Wohnung, Lebensmittel, eine Arbeit, jedenfalls aber zunächst die finanzielle Absicherung durch Sozialleistungen, möglicherweise eine Therapie oder eine weitere Substitution. Und all diese Dinge werden sofort benötigt.

Es liegt deshalb nahe, für diese Aufgabe die Anlaufstellen für Straffällige und Haftentlassene zu gewinnen. Denn diese haben die erforderlichen Kontakte und Netzwerke, um sofortige und effektive Hilfe zu leisten und zu vermitteln.

Um den zu Unrecht verurteilten Personen keinen weiteren Kontakt mit Straftätern zuzumuten, bietet sich an, dass die Entlassenen in diesen Fällen von den Anlaufstellen aufgesucht werden.

Am effektivsten ist es daher, die regional zuständige Anlaufstelle bereits mit der Entlassungsentscheidung des Gerichts um ihr Erscheinen zur sofortigen individuellen Unterstützung zu bitten – so wie von den Regierungsfraktionen mit Ziffer 2 ihres Entschließungsantrages vorgeschlagen. Natürlich nur, wenn denn die betroffene Person dies wünscht.

Mit diesem proaktiven Ansatz kann die sofort erforderlich werdende Unterstützung effektiv und professionell gewährleistet werden.

Verbleibt der Aspekt der Rehabilitation. Hier nehme ich den Vorschlag der Regierungsfraktionen in Ziffer 3 des Entschließungsantrages, das Justizministerium solle ein Bestätigungsschreiben versenden, gern auf. Darin können sowohl die Haftzeiten als auch der Umstand, dass die Haft zu Unrecht verbüßt wurde, bestätigt werden. Auf diese Weise kann die Lücke im Lebenslauf an allen erforderlich werdenden Stellen belegt und erklärt werden.

Mit diesem Dreiklang übernehmen wir Verantwortung für sehr seltene strafrichterliche Fehlentscheidungen. Und das steht uns gut zu Gesicht!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.“


Schmuckgrafik   Bildrechte: MJ
Justizministerin Barbara Havliza hält eine Rede im Niedersächsischen Landtag   Bildrechte: Swen Pförtner / MJ

Artikel-Informationen

erstellt am:
22.09.2022

Ansprechpartner/in:
Herr Christian Lauenstein

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044

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