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Rede der Niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza zu „Qualität steigern, Sicherheit erhöhen - Anzahl der Ausführungen Sicherungsverwahrter überprüfen!“ (Antrag der Fraktionen der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/649 -)

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 21. Juni 2018, Abschließende Beratung (TOP 34)


„Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 fest, dass die Regelungen zur Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Es hat klargestellt, dass die Sicherungsverwahrung in einem deutlichen Abstand zum Strafvollzug auszugestalten ist.

Die Freiheitsentziehung ist so regeln, dass die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmt. Diesem Umstand soll durch einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug Rechnung getragen werden. Im Ergebnis dient die Unterbringung dem Ziel, die Gefährlichkeit der betroffenen Person für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die weitere Vollstreckung der Maßregel entbehrlich wird.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Anzahl der zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit zu gewährenden Ausführungen weder konkret benannt, noch sonstige Ausführungen gemacht, aus denen sich eine bestimmte Frequenz ableiten lassen würde.

Am 1. Juni 2013 wurden mit dem Niedersächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (Nds. SVVollzG) die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Das in der JVA Rosdorf auf Grundlage des Gesetzes entwickelte freiheitsorientierte und therapiegerichtete Gesamtkonzept wird kontinuierlich begleitet. Regelungen, die nicht zu den erwünschten Ergebnissen führen bzw. die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt haben, müssen daher im Lichte der Gestaltungsvorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden.

Vollzugsöffnende Maßnahmen sind von besonderer Bedeutung für die Erstellung einer Prognose zur Beurteilung der weiteren Gefährlichkeit. Sie erlauben es, die oder den Sicherungsverwahrten auch in Situationen außerhalb der Anstalt zu erproben. Vollzugsöffnende Maßnahmen können damit die Erledigung der Sicherungsverwahrung vorbereiten und zur Erreichung des zentralen Vollzugszieles beitragen.

Das Niedersächsische Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz sieht derzeit einen Mindestanspruch von einer Ausführung im Monat vor. Diese Ausführungen können den Sicherungsverwahrten nur dann versagt werden, wenn sie schlechthin unverantwortbare Gefahren verursachen würden.

Wir in Niedersachsen gehen mit dieser Regelung weit über das hinaus, was andere Bundesländer für ausreichend erachten: Mit Ausnahme von Bremen, deren Sicherungsverwahrte in Niedersachsen in der JVA Rosdorf untergebracht sind, gilt in allen anderen Ländern ein Mindestanspruch von vier Ausführungen im Jahr.

Fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Niedersächsischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes ist es deshalb an der Zeit, die bisherige Regelung dahingehend zu überprüfen, ob sich die damit verbundenen Erwartungen erfüllt haben. Daher bin ich für den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und CDU dankbar, der sich genau dies zum Ziel gesetzt hat.

Es darf nicht vergessen werden, dass jeder Aufenthalt einer gefährlicher Straftäterin oder eines gefährlichen Straftäters außerhalb einer geschlossenen Anstalt - auch in Begleitung von Bediensteten - ein Risiko für die Allgemeinheit bedeutet.

Daraus folgt, dass Niedersachsen derzeit im Vergleich zu anderen Ländern ein deutlich höheres Risiko eingeht. Dies wäre wenn überhaupt nur zu verantworten, wenn die bislang hohe Frequenz von Ausführungen die Sicherungsverwahrten in besonderem Maße in ihrer Änderungsmotivation beeinflusst und bestärkt hätte.

Der bisherigen gesetzlichen Regelung in Niedersachsen lag die Erwartung zugrunde, dass die monatlich zu gewährenden Ausführungen nicht nur dem Erhalt der Lebenstüchtigkeit dienen, sondern zugleich die Bereitschaft der Sicherungsverwahrten zur Mitwirkung an der Behandlung fördern. Auch sollten die Sicherungsverwahrten auf weitere - auch unbegleitete - vollzugsöffnende Maßnahmen vorbereiten werden. Diese Erwartung hat sich nicht bestätigt.

Eher ist das Gegenteil der Fall: Die häufigen Ausführungen bewirken bei vielen Sicherungsverwahrten eine so starke Fokussierung auf den Aufenthalt außerhalb der Anstalt, dass andere Behandlungsmaßnahmen demgegenüber in den Hintergrund treten. Diese sind für die Erreichung der Vollzugsziele aber mindestens ebenso wichtig. Die Motivation, sich durch aktive Mitarbeit und entsprechende Therapieerfolge für eine weitere Öffnung des Vollzuges zu empfehlen, ist in der Praxis nur bei sehr wenigen Sicherungsverwahrten zu beobachten. Das mag daran liegen, dass weitergehende Maßnahmen wie Ausgang oder Freigang keinen „Mehrwert“ haben, wenn Sicherungsverwahrte ihren Interessen auch im Rahmen von Ausführungen vollumfänglich nachgehen können.

In den letzten fünf Jahren sind bislang nur fünf Personen aus dem Vollzug der Maßregel entlassen worden: Zwei Personen wurden nach dem erfolgreichen Abschluss der dortigen Behandlung unmittelbar aus einer sozialtherapeutischen Einrichtung entlassen. Die Behandlung hatte in beiden Fällen bereits während des Vollzugs der Freiheitsstrafe begonnen.

Zwei weitere Sicherungsverwahrte stellten sog. Altfälle dar und bei einem wurde die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt, nachdem die Gefährlichkeit aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung hinreichend minimiert erschien. Diese geringe Anzahl an Erledigung der weiteren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung legt eine sorgfältige Überprüfung des derzeitigen Regelungskonzeptes nahe.

Offensichtlich hat die hohe Frequenz von Ausführungen die Erreichung der Vollzugsziele und damit die Erledigung der Maßregel nicht in dem erwarteten Maß gefördert. Diesem Umstand trägt der im Rahmen der Ausschussberatung aktualisierte Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen Rechnung.

Wir beabsichtigen daher, den Mindestanspruch auf eine Ausführung pro Quartal zu reduzieren. Gleichzeitig sollen die Ausführungen in den Kontext des freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzeptes gestellt werden, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung trägt.

Niedersachsen hat einen gut funktionierenden, modernen und wirksamen Justizvollzug. Gleiches gilt für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Die Landesregierung arbeitet an einer kontinuierlichen Verbesserung. Diesem Umstand trägt der vorliegende Entschließungsantrag umfassend Rechnung.“

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
21.06.2018
zuletzt aktualisiert am:
04.07.2018

Ansprechpartner/in:
Herr Christian Lauenstein

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044

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