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Antwort auf die Mündliche Anfrage: „Rückfallstatistik nach Sanktionen“

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 10. Juni 2016, Mündliche Anfrage Nr. 35


Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage Nr. 35 der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP):

Vorbemerkung der Abgeordneten

Kriminalstrafen drücken die Missbilligung von Verhaltensweisen aus, die eine Gesellschaft ablehnt. Der wichtigste Zweck einer Strafe ist es nach heutigem Verständnis, den Täter davon abzuhalten, erneut straffällig zu werden.

Ob dies gelingen kann, ob Strafen also eine spezialpräventive Wirkung haben, ist eine Frage, die Strafrechtswissenschaft wie Kriminalpolitik beschäftigt. Dabei ist sie, anders als manche andere Grundannahmen, die sich auf die Wirkung von Recht beziehen, einer erfahrungswissenschaftlichen Überprüfung zugänglich. Es ist nachprüfbar, ob Verurteilte erneut gegen (Straf-) Gesetze verstoßen oder ob sie nach Ablauf der Vollstreckung ihrer Strafe nicht mehr rückfällig werden - jedenfalls soweit ihre Tat nicht im Dunkelfeld verbleibt.

Diese Nachprüfbarkeit besteht nicht nur für Straftäter im klassischen Strafvollzug, sondern auch für solche, die im Maßregelvollzug sind oder waren.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Vermeidung von Rückfälligkeit entlassener Gefangener, Sicherungsverwahrter und Maßregelvollzugspatienten im Rahmen einer erfolgreichen Wiedereingliederung ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten. Im Hinblick auf die Bewertung von Rückfallraten nach freiheitsentziehenden Sanktionen oder Maßregeln ist daher zu berücksichtigen, dass das Ausmaß der Rückfälligkeit nicht nur vom Geschlecht, dem Alter, der strafrechtlichen Vorbelastung und von den Unterbringungszeiten und Resozialisierungsleistungen im Vollzug, sondern maßgeblich auch von den Resozialisierungsleistungen des Ambulanten Justizsozialdienstes, der Anlaufstellen der Freien Straffälligenhilfe, den JobCentern und den Agenturen für Arbeit sowie anderer Institutionen und Organisationen und letztlich dem sozialen Umfeld und den Lebensbedingungen und -ereignissen abhängt.

Die Verhinderung von Rückfälligkeit gelingt zudem umso besser, je höher die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit der bzw. des Verurteilten ist. Es ist zu erwarten, dass Personen, die zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurden, weniger Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit aufweisen, da sie in der Regel mehr Vorstrafen, eine schwerwiegendere Anlasstat, eine geringere soziale Integration sowie weitere Merkmale aufweisen, die - unabhängig von den Aktivitäten des Straf- bzw. Maßregelvollzugs - eine höhere Rückfallrate erwarten lassen.

Das Ausmaß der Rückfälligkeit nach Sanktionen, wie sie mit Daten des Bundeszentralregisters (BZR) als wichtigster Quelle gemessen wird, hängt überdies von der Festlegung des Rückfallzeitraums und der Rückfallart ab. Je länger der Rückfallzeitraum nach der Sanktion gewählt wird, desto höher ist die Rückfallrate, weil mehr „Gelegenheit“ zur Straftatbegehung bestand. Zudem ist die Rückfälligkeit höher, wenn jede erneute Verurteilung als Rückfall gewertet wird, als wenn z.B. nur die erneute Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe als Rückfall betrachtet wird. Die reine Betrachtung der Rückfallrate in einem bestimmten Zeitraum vernachlässigt zudem eine ggf. vorliegende positive Veränderung der Quantität und Qualität erneuter Straftaten.

Mit Blick auf die Rückfallraten sind schließlich generelle Einschränkungen zu erwähnen, die bei der Interpretation der Zahlen zu berücksichtigen sind. So können beispielsweise Personen, die im Risikozeitraum (in der Regel 3 Jahre) versterben, ausreisen oder ausgewiesen werden und damit nicht bzw. nicht im Geltungsbereich des BZR rückfällig werden, nicht vollständig aus der Untersuchung ausgeschlossen werden, weil diese Informationen nicht (immer) im BZR eingetragen werden. Schließlich sind die Inhaftierungsraten in den Ländern unterschiedlich.

1. Wie viele Straftäter, die ihre Strafe im Gefängnis verbüßt haben, wurden jeweils in den Jahren 2006 bis 2015 rückfällig (bitte insgesamt und prozentual angeben)?

Es liegen keine durchgängigen Daten für die Jahre 2006 bis 2015 vor. Die nachfolgenden Angaben basieren auf der bundesweiten Rückfallstatistik, die im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz durchgeführt worden ist (Jehle et. al., Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und 2004 bis 2010).

Unter Bezugnahme der dargelegten Einschränkungen bei der Interpretation der Daten ist für das Land Niedersachsen für alle im Jahr 2004 aus einer freiheitsentziehenden Strafe oder Maßregel aus der Haft (ohne isolierte Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB) entlassenen 2.162 Personen drei Jahre nach ihrer Entlassung eine Rückfallrate von 56,8 % festzustellen (1.228 Personen). Als Rückfall wurde dabei jede erneute Verurteilung gewertet. Bei differenzierter Betrachtung von aus dem Erwachsenenvollzug nach einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung Entlassenen 1.738 Personen beträgt diese Rate 53,2 % (924 Personen). Für die aus dem Jugendstrafvollzug Entlassenen 424 Personen liegt die Rückfallrate bei 71,5 % (303 Personen).

Bei einer erneuten Untersuchung für 2007 aus dem Erwachsenenvollzug nach einer Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung Entlassenen ließen sich ähnliche Rückfallraten in einem Drei-Jahres-Zeitraum feststellen (Freiheitsstrafe ohne Bewährung: 1.166 von 2.235 = 52,2 %, Jugendstrafe ohne Bewährung: 324 von 446 = 72,6 %). Zu beachten ist, dass bei dieser Rückfallrate nur die isolierten Maßregeln nach § 63 und § 64 StGB nicht berücksichtigt wurden, d.h. Personen, die eine dieser Maßregeln in Verbindung mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung erhalten, werden als nach einer Freiheits- bzw. Jugendstrafe Entlassene gezählt. Für diese spezielle Gruppe in Haft liegen für Niedersachsen keine Zahlen vor.

Für die Gruppe der 2004 aus dem Strafvollzug bzw. Jugendvollzug entlassenen Personen wurde 2010 geprüft, in welchem Umfang sie in einem sechsjährigen Zeitraum rückfällig wurden. Durch methodische Besonderheiten ergeben sich dabei andere Grundgesamtheiten. Von 2.027 aus dem Strafvollzug Entlassenen wurden demnach 1.076 rückfällig (64,0 %), von 478 aus dem Jugendvollzug Entlassenen 392 (82,0 %).

2. Wie viele Straftäter, die ihre Strafe im Maßregelvollzug verbüßt haben, wurden jeweils in den Jahren 2006 bis 2015 rückfällig (bitte insgesamt und prozentual angeben)?

Mit Rechtskraft des richterlich angeordneten Endes einer Maßregel ist der Patient aus der Maßregel zu entlassen und ggf. in den Justizvollzug zu überstellen. Mit der Beendigung der Maßregel werden keine weiteren Patientendaten mehr erhoben. Es gibt daher weder beim Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung noch in den Maßregelvollzugseinrichtungen länderspezifische Informationen, ob und in welchem Umfang ehemalige Maßregelvollzugspatienten nach der Beendigung des Maßregelvollzugs erneut straffällig wurden.

Eine Betrachtung der Straftäter, die im Maßregelvollzug untergebracht waren, findet sich in der bundesweiten Rückfalluntersuchung von Jehle und Kollegen (2013), wobei diese Daten sich nur auf diejenigen Personen beschränken, die anschließend unter Führungsaufsicht standen. Danach beträgt die Rückfallrate der 776 Personen, die nach einer isolierten Maßregel nach § 63 StGB im Jahr 2007 entlassen wurden in einem Drei-Jahres-Zeitraum 5 % (39 Personen), bei nach § 64 StGB entlassenen 66 Personen 24,2 % (16 Personen).

Für 358 Personen, die eine Maßregel nach § 63 StGB in Verbindung mit einer Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung erhalten haben, liegt die Rückfallrate bei 23,2 % (83 Personen), für nach § 64 StGB in Verbindung mit einer Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung Entlassene 1.837 Personen beträgt sie 41,9 % (770 Personen).

3. Wie viele Straftäter, die im Maßregelvollzug bzw. im Gefängnis waren, wurden in den Jahren 2006 bis 2015 rückfällig, während sie auf Freigang oder aufgrund eine ähnlichen Vollzugslockerung „auf freiem Fuß“ waren?

a) Maßregelvollzug

Im Maßregelvollzug sind alle Vorkommnisse meldepflichtig, die geeignet sind, eine öffentliche Aufmerksamkeit zu bewirken. Dazu gehören auch alle Straftaten, die ein Patient im Rahmen seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verübt.

Ob es dabei aufgrund der begangenen Straftaten zu einer neuen Verurteilung kommt oder das Verfahren später eingestellt wird, ist für die Berichtspflicht nicht relevant.

Pro Jahr fanden in dem fraglichen Zeitraum von 2006 bis 2015 mindestens 35.000 unbegleitete Vollzugslockerungen, insgesamt also mindestens 350.000 unbegleitete Vollzugslockerungen statt. In 46 Fällen kam es dabei zu strafrechtlich relevanten Vorkommnissen.

b) Justizvollzug

In den Controllingdaten des Justizvollzuges werden seit 2006 die Verurteilungen, die aus Anlass von Straftaten durch Gefangene in Ausgängen, Urlauben und Freigängen erfolgten, erfasst. Berücksichtigt werden – zeitversetzt wegen der Verfahrensdauer – ausschließlich rechtskräftige strafgerichtliche Urteile und Strafbefehle. Bei der Zählung werden Einstellungen nach §§ 153, 153 a StPO und Entscheidungen nach §154 StPO nicht berücksichtigt. Die erhobenen Daten geben keine Auskünfte zu einschlägigen Rückfällen.

In dem fraglichen Zeitraum von 2006 bis 2015 wurden insgesamt 1.736.155 Vollzugslockerungen (Ausgänge, Urlaube und Freigänge) gewährt. In 51 Fällen (42 Männer und 9 Frauen) kam es dabei zu strafrechtlich relevanten Vorkommnissen.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
10.06.2016

Ansprechpartner/in:
Herr Marco Hartrich

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120 - 5162

www.mj.niedersachsen.de

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