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Rede der Niedersächsischen Justizministerin Frau Niewisch-Lennartz zu TOP 17 der Sitzung des Bundesrates am 13.05.2016:

„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“


Es gilt das gesprochene Wort!


„Nein heißt Nein! Das gilt für Gesetze, für Verträge, das gilt auch, und zwar im besonderen Maße für die sexuelle Selbstbestimmung. Jede Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung stellt eine Missachtung der Menschenwürde dar und begründet ein spezifisches Handlungsunrecht. Dieses Recht bedarf eines umfassenden Schutzes. Um das zu gewährleisten, muss das Sexualstrafrecht alle sanktionswürdigen Konstellationen erfassen.

Nach Artikel 36 der sogenannten Istanbul-Konvention ist jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe zu stellen. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen am 11. Mai 2011 gezeichnet und sich damit zum uneingeschränkten Schutz der sexuellen Selbstbestimmung bekannt. Das geltende Recht der Bundesrepublik Deutschland bietet diesen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung nicht. Auch der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf wird diesem Erfordernis nicht gerecht.

Richtig ist, dass das Gesetzesvorhaben zu einer Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung beiträgt. Es stellt einen begrüßenswerten ersten Schritt in die richtige Richtung dar, wenn nunmehr Taten sanktioniert werden, in denen das Opfer aufgrund der überraschenden Handlung des Täters keinen Widerstand leisten kann oder aus Furcht von Widerstand absieht.

Aber der Gesetzentwurf lässt inakzeptable Strafbarkeitslücken bestehen. So bleibt beispielsweise auch in der Neufassung des § 179 Strafgesetzbuch ein Täter, der ein klar formuliertes „Nein“ des Opfers ignoriert und ohne Anwendung von Nötigungsmitteln sexuelle Handlungen an ihm vornimmt, straflos. Gleiches gilt für einen Täter, der sich über einen erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers, etwa ein Weinen oder Schluchzen, hinwegsetzt.

Zur Schließung von Strafbarkeitslücken ist eine grundlegende Reform des gesamten 13. Abschnitts des Strafgesetzbuchs erforderlich. Dieses Ziel verfolgt der durch das Land Niedersachen zusammen mit den Ländern Hamburg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Thüringen eingebrachte Entschließungsantrag. Der Bundesrat hat in seiner 943. Sitzung am 18. März dieses Jahres eine entsprechende Entschließung zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung durch eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts gefasst. Daneben hat das Land Niedersachsen zusammen mit den weiteren Ländern in dem laufenden Gesetzgebungsverfahren zahlreiche Änderungsanträge zu den beabsichtigten Neufassungen der §§ 177 und 179 Strafbesetzbuch eingebacht.

Hierzu nur ein Beispiel:

Spätestens nach den Vorkommnissen in der Silvesternacht 2015 ist bekannt, dass es nicht selten dazu kommt, dass fremde Personen in sexueller Motivation anderen Personen zwischen die Beine oder an die bekleideten Brüste fassen. Das Unverständnis war groß als klar wurde, dass dieses Verhalten bisher nicht strafbar ist! Der Gesetzentwurf sieht nun die Strafbarkeit sogenannter überraschender Begehungsweisen vor. Dazu wurde Ziffer 2 des § 179 Abs. 1 StGB geschaffen, nach dem sexuelle Handlungen dann strafbar sind, wenn das Opfer wegen der überraschenden Begehung keinen Widerstand leisten kann.

Diese neue Strafvorschrift ist ergänzungsbedürftig. Bleibt es bei der Entwurfsfassung, bliebe es auch bei der Kasuistik zur „Erheblichkeitsschwelle“ die eine Strafbarkeit von Übergriffen wie in Köln so schwer macht.

So wurde zum Beispiel gerade der flüchtige Griff an die Genitalien über der Kleidung nicht als ausreichend erachtet. Der Griff zwischen die Beine war jedoch genügend. Das kurze Anfassen der Brust eines Mädchens über den Kleidern soll nicht genügen, während ein „spürbarer“ Griff mit einem kurzen Betasten ausgereicht hat.

Damit sind in der Vergangenheit aber gerade Fälle, die nach der Intention des Gesetzentwurfs nunmehr - zu Recht - strafbewehrt sein sollen, nicht als erhebliche sexuelle Handlungen angesehen worden. Es steht zu befürchten, dass so die an die Neueinführung dieser Tatalternative geknüpften Erwartungen massiv enttäuscht werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf hat in den vergangenen Monaten einen intensiven Diskussionsprozess über eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts entfacht. Ich freue mich, dass die Auffassung, dass die Strafbarkeit nicht von der Anwendung von Gewalt, von der Gegenwehr des Opfers oder besonderen Umständen abhängig gemacht werden darf, mittlerweile von vielen anderen geteilt wird und unsere Überzeugungsarbeit auf fruchtbaren Boden gefallen ist, und dies parteiübergreifend.

So fordert - wie aktuellen Presseberichten zu entnehmen ist - auch der Fraktionsvorsitzende der Union, Herr Kauder, die Neuregelung des Sexualstrafrechts müsse dem Grundsatz „Ein Nein ist ein Nein“ folgen. So auch die Positionierung des Fraktionsvorsitzenden des SPD, Herrn Oppermann, wie dem folgenden Zitat zu entnehmen ist: "Mich persönlich hat die Diskussion überzeugt, dass es nur eine Regelung gibt, die die sexuelle Selbstbestimmung umfassend schützt: Nein heißt nein."

Der umfassende Schutz der sexuellen Selbstbestimmung aller Bürgerinnen und Bürger ist von herausragender Bedeutung. Lassen Sie uns deshalb nicht nur einzelne Strafbarkeitslücken schließen, sondern eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts in Angriff nehmen. Es ist an der Zeit, neue Wege zu gehen.

Es darf nicht länger sein, dass die sexuelle Selbstbestimmung aktiv verteidigt werden muss. Definitiver Ansatzpunkt im Sexualstrafrecht muss das fehlende Einverständnis sein. Es bedarf eines Paradigma-Wechsels zum Nein heißt Nein und damit einer grundlegenden Reform.“

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
13.05.2016

Ansprechpartner/in:
Herr Marco Hartrich

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120 - 5162

www.mj.niedersachsen.de

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