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Rede der Niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza zu „Wirkung von Zwangsmaßnahmen erhöhen - Rechtsprechung effektiv durchsetzen“ (Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 18/2028)

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 25. Februar 2020, (TOP 14)


Es gilt das gesprochene Wort!


„Die verfassungsmäßige Aufgabe der Justiz ist die Anwendung und Durchsetzung des vom Gesetzgeber geschaffenen Rechts. Die Justiz kontrolliert zugleich die anderen Staatsgewalten im Sinne der Gewaltenteilung. In einem funktionierenden Rechtsstaat kann keinerlei Zweifel daran bestehen, dass auch die Exekutive gerichtliche Entscheidungen ausnahmslos umsetzen muss.

In wenigen aufsehenerregenden Einzelfällen ist dies in der Vergangenheit leider unterblieben. Beispielhaft erwähnt sei an dieser Stelle der in der Antragsbegründung aufgegriffene Fall des „Sami A.“. Nordrhein-westfälische Behörden schoben ihn im Juli 2018 nach Tunesien ab, obwohl ein Gericht dies untersagt hatte. Aus der Praxis niedersächsischer Behörden sind derartige Fälle nicht bekannt. Der vorliegende Antrag wirft gleichwohl die Frage auf, ob die Justiz gegenüber der Exekutive über ausreichende Zwangsmittel verfügt.

Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass die Verwaltungsgerichtsordnung nur wenige Regelungen zur Vollstreckung enthält. Der Gesetzgeber des Jahres 1960 ging nämlich wie selbstverständlich davon aus, dass Behörden ihren Handlungspflichten aus einer gerichtlichen Entscheidung nachkommen werden. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, kann das Gericht jeweils ein Zwangsgeld bis zu 10.000 EURO gegen den jeweiligen Rechtsträger festsetzen und vollstrecken. Dieser Betrag ist vorwiegend symbolischer Natur.

Die Möglichkeit, Zwangshaft anzuordnen, besteht nach der geltenden Verwaltungsgerichtsordnung indes nicht. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Vollstreckung gegenüber Privaten nach der Zivilprozessordnung. An dieser Stelle sieht der vorliegende Antrag Reformbedarf. Er schlägt zum einen vor, Gerichten die Befugnis einzuräumen, gegen Behördenleiter Zwangshaft anzuordnen. Zum anderen sollen Zwangsgelder nicht mehr an die Landeskasse fließen, sondern an eine gemeinnützige Einrichtung.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt halte ich eine Diskussion um die Schaffung einer derartigen Rechtsgrundlage jedoch für verfrüht. Zunächst bleibt abzuwarten, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs aus Dezember 2019 umsetzen wird. Das letztgenannte Urteil betrifft die Vorlagefrage, ob Verwaltungsgerichte bei der Durchsetzung europarechtlich verbriefter Ansprüche verpflichtet sein können, die Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden und Zwangshaft gegen Behördenleiter anzuordnen.

Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs ist dies nur denkbar, wenn die nationale Rechtsgrundlage sowohl hinreichend bestimmt ist als auch in ihrer Anwendung vorhersehbar. Ob die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zwangshaft diese Voraussetzungen erfüllen, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nunmehr in eigener Zuständigkeit zu prüfen.

Unabhängig davon, wie diese Prüfung ausfallen wird, begegnet der vorliegende Antrag meines Erachtens jedoch Bedenken. Dies gilt bereits für den Vorschlag, beigetriebene Zwangsgelder gemeinnützigen Organisationen zukommen zu lassen. Eine derartige Ausgestaltung würde dem Staatshaushalt nämlich Steuergelder entziehen, welche sodann bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben fehlen.

Skeptisch stehe ich auch dem Vorschlag gegenüber, Amtswalter persönlich in Zwangshaft zu nehmen. In einem Rechtsstaat ließe sich keine Maßnahme hierdurch letztverbindlich erzwingen. Denn die jeweiligen Stellvertreter könnten die Amtsgeschäfte nahtlos wie gehabt weiterführen.

Richtigerweise sollten wir hier das Augenmerk auf Instrumente außerhalb der Justiz lenken. Die öffentliche Kontrolle der Exekutive ist in einer freiheitlichen Demokratie wirksamer als jeder Gerichtsvollzieher. Gewährleistet wird sie zum einen und vor allem durch die parlamentarische Kontrolle der Regierung, zum anderen durch die Berichterstattung der freien Presse. Auch im eingangs erwähnten Fall „Sami A.“ war es die öffentliche Reaktion in den Medien, welche den zuständigen Landesminister zum Einlenken bewog. Ein gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass auch die Exekutive gerichtliche Entscheidungen zu befolgen hat, ist nach meiner Überzeugung ein sicherer Garant für den Fortbestand des gewaltenteilenden Rechtsstaats. Als Justizministerin sehe ich hierfür im Land Niedersachsen die besten Voraussetzungen.“



Justizministerin Havliza hält eine Rede im Niedersächsischen Landtag   Bildrechte: Swen Pförtner / MJ

Artikel-Informationen

erstellt am:
25.02.2020

Ansprechpartner/in:
Herr Christian Lauenstein

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044

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