Logo Niedersächsisches Justizministerium: zur Startseite Niedersachsen klar Logo

Rede der Niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza zu TOP 30 a) Aktuelle Stunde der CDU-Fraktion „Verfassungsrang des Kinderschutzes in Niedersachsen mit Leben füllen“

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 12. September 2019


Es gilt das gesprochene Wort!


„Am vergangenen Donnerstag hat die juristische Aufarbeitung der Missbrauchsfälle von Lügde ihren Abschluss gefunden. Das Landgericht Detmold hat die Angeklagten zu 13 bzw. 12 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Was die Männer den 24 Mädchen und 8 Jungen körperlich und psychisch angetan haben, ist nicht in Worte zu fassen. Mit den Folgen werden die Kinder ihr Leben lang zu kämpfen haben.

Wir schulden den Betroffenen nun jede Hilfe, die sie benötigen. Und wir schulden ihnen, dass aus den Fehlern Lehren gezogen werden. Ein solch katastrophales Versagen staatlicher Institutionen darf es nicht mehr geben.

Daher ist es zu begrüßen, dass das Niedersächsische Sozialministerium eine Untersuchung im Jugendamt Hameln-Pyrmont eingeleitet hat und dem Amt eine Beratungsstruktur zur Verfügung stellt. Dies ist ein erster Schritt, ein guter, doch nur ein erster. Weitere müssen folgen. Um zu verhindern, dass etwas Derartiges in irgendeinem Jugendamt in Niedersachsen noch einmal vorkommt, brauchen wir über den Einzelfall hinausgehende Erkenntnisse.

Ich bin daher dankbar für den Vorstoß der Regierungsfraktionen, eine Kommission beim Landespräventionsrat – kurz LPR – anzuregen, die genau dieses tun soll: eine Analyse der staatlichen Jugendhilfe im Hinblick darauf, wo systemimmanente Mängel bestehen. Daraus sollen möglichst schnell praxisnahe Empfehlungen formuliert werden, auf deren Umsetzung wir dann gemeinsam hinwirken müssen.

Diese Kommission ist bereits auf dem Weg. Der Vorstandsbeschluss des LPR ist gefasst, eine Lenkungsgruppe eingesetzt und der designierte Leiter steht in den Startlöchern. Es handelt sich um einen ehemaligen Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Oldenburg und renommierten Familienrechts-Experten, der derzeit bereits in der sog. Staufen-Kommission mitwirkt.

Die Kommission soll im Oktober dieses Jahres starten. Bis Ende kommenden Jahres soll die Kommission ihre Resultate vorlegen.

Selbstverständlich bleibt die Landesregierung bis dahin nicht untätig. Das Sozialministerium hat zusätzliche Fortbildungsangebote für die Jugendämter initiiert und eine Fachtagung speziell zum Thema Lügde anberaumt.

Zudem hat das Haus von Frau Kollegin Reimann die Ressorts zur Mitwirkung an einer Kinderschutzstrategie des Landes eingeladen und arbeitet parallel an der Entwicklung eines Gesamtkonzeptes der Kinder- und Jugendhilfe.

Die mögliche Einsetzung eines Kinderschutzbeauftragten im Sozialministerium wird derzeit daraufhin geprüft, ob und unter welchen Bedingungen eine solche Funktion echten Mehrwert hätte. Um Kinderrechten in unserer Gesellschaft zur Geltung zu verhelfen, braucht es ohnehin mehr als einen Beauftragten!

Ich hoffe, dass es uns mit der Informationsoffensive des Landes „Kinderschutz geht uns alle an“ gelingt, viele Menschen gezielt für das Thema zu sensibilisieren. Außerdem müssen jedes Kind und jeder Jugendliche wissen, wer in Notsituationen als Ansprechpartner da ist.

Niedersachsen wird alle gesetzgeberischen Initiativen engagiert unterstützen, mit dem der Schutz der Kinder verbessert werden kann. Aktuell findet dazu ein Dialog zur Reform des Sozialgesetzbuches 8 (SGB VIII) statt, der voraussichtlich zum Ende des Jahres in ein Gesetzgebungsverfahren münden wird.

Ein weiteres Thema auf Seiten des Gesetzgebers ist die Frage einer möglichen Ausweitung oder Abschaffung von Verjährungsfristen für Missbrauchstaten zum Nachteil von Kindern.

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung stellen einen massiven Eingriff in die Intimsphäre des Opfers dar. Das Opfer hat daher auch nach langer Leidenszeit ein besonderes und berechtigtes Interesse daran, dass der Täter noch zur Verantwortung gezogen werden kann. Hinzu kommt, dass die Betroffenen häufig erst nach der Aufarbeitung oder dem Ende familiärer und altersbedingter Abhängigkeiten die Kraft und die Möglichkeit finden, die Tat anzuzeigen.

Der Gesetzgeber muss aufgrund dieser Besonderheiten gewährleisten, dass eine Ahndung auch nach langer Zeit noch möglich ist. Die Verjährungsvorschriften bei Missbrauchstaten sind deshalb im Januar 2015 ausgeweitet worden. § 78b Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) sieht seither vor, dass die Verjährung bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers ruht. Ob über diese Regelung hinaus ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, sollte wohlüberlegt werden, zumal die Unverjährbarkeit eine absolute Ausnahme im deutschen Strafrecht darstellt, die allein dem Mord als schwerstem aller Delikte vorbehalten ist.

Es gibt gute Gründe für Verjährungsfristen, auch über den Rechtsfrieden hinaus. So schwindet z. B. mit den Jahren die Qualität der Beweismittel. Zeugen erinnern sich etwa nicht mehr so gut, sodass die Gefahr unrichtiger oder nur noch schwammiger Aussagen, und damit die Gefahr von Fehlurteilen, die eben auch unberechtigte Freisprüche sein können, steigt.

Wir werden uns die Zeit nehmen, alle Argumente gründlich gegeneinander abzuwägen. Für eine Gesetzesänderung wäre ohnehin der Bundesgesetzgeber zuständig. Aus den Ländern könnte lediglich die Initiative kommen.

Sie sehen: wir tun eine Menge, um die aktuelle Situation aufzuarbeiten und den Kinderschutz weiter zu entwickeln. Dieses wird aber nur funktionieren, wenn wir uns jetzt gemeinsam auf das konzentrieren, was Kindern und Jugendlichen wirklich nützt und uns dann mit Kraft und Nachdruck gemeinsam dafür einsetzen.“


Justizministerin Havliza hält eine Rede im Landtag  

Artikel-Informationen

erstellt am:
12.09.2019

Ansprechpartner/in:
Herr Christian Lauenstein

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln