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Justizministerium unterrichtet Niedersächsischen Landtag über strafrechtliche Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen

HANNOVER. Das Niedersächsische Justizministerium hat am 08.05.2013 den Ausschuss für Recht und Verfassung des Niedersächsischen Landtags über den aktuellen Stand von Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen mit Bezügen nach Niedersachsen unterrichtet.

Ein Vertreter des Ministeriums bezeichnete die Aussöhnung der Deutschen mit den Opfern der NS-Diktatur und ihren Familien als andauernde Aufgabe der Niedersächsischen Landesregierung.

Neben der Anerkennung des Unrechts und seiner historischen Aufarbeitung stellt auch die strafrechtliche Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen einen unverzichtbaren Beitrag zu Erfüllung dieser moralischen Verpflichtung dar. Die Landesregierung wird deshalb auch in Zukunft die strafrechtliche Aufarbeitung unbeirrt unterstützen und alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um nationalsozialistische Gewaltverbrechen zu ahnden.

Vorermittlungen der bundesweiten Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg gegen mutmaßliche Wachleute des KZ Auschwitz-Birkenau weisen Bezüge nach Niedersachsen auf. Die Vorermittlungen richten sich auch gegen vier Personen, die Wachleute in Auschwitz gewesen sein sollen und nach derzeitigem Kenntnisstand in Niedersachsen wohnen. Sie dienen zur Klärung des Wohnorts der Personen, außerdem zur Klärung der Frage, ob gegen diese Personen bereits Strafverfahren im In- oder Ausland stattgefunden haben, die wegen möglichen völkerrechtlichen Verbots der Doppelbestrafung eine erneute Verfolgung ausschließen. Wenn eine Strafverfolgung rechtlich möglich ist, wird zu ermitteln sein, ob und wann die betreffenden Personen als Wachleute in Auschwitz tätig waren, zu welchen Wacheinheiten sie gehörten und wie viele Menschen während dieser Zeit in Auschwitz ermordet wurden. Erst wenn diese Vorermittlungen abgeschlossen sind, kann über die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens entschieden werden. Zuständig könnten im Einzelfall niedersächsische Staatsanwaltschaften sein.

Darüber hinaus wurden die Abgeordneten über den aktuellen Stand der Ermittlungen gegen zwei frühere - heute in Niedersachsen lebende - Angehörige der Wehrmachtsdivision „Hermann Göring“ informiert. Ihnen wird vorgeworfen, an im Jahr 1944 verübten Massakern an italienischen Zivilisten beteiligt gewesen zu sein, die von Angehörigen der Division begangen wurden. Die militärgerichtlichen Verfahren in Italien sind nunmehr rechtskräftig abgeschlossen. Dabei wurde ein in Niedersachsen lebender früherer Angehöriger der Division in Abwesenheit wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, ein anderer wurde freigesprochen.

Hintergrund:

Ausländische Verurteilungen sind in Deutschland grundsätzlich im Wege der Rechtshilfe vollstreckbar. Dies gilt im Grundsatz auch für Urteile italienischer Gerichte. Wenn sich die verurteilte Person, wie vorliegend, bereits in Deutschland befindet, kann die Rechtshilfe (sogenannte Vollstreckungshilfe) nur auf vertragloser Grundlage erfolgen, da zwischen Deutschland und Italien kein Übereinkommen oder anderweitiger völkerrechtlicher Akt besteht, der diesen Fall regelt. Über ein Ersuchen Italiens als Urteilsstaat hätte in diesem Fall konkret das Bundesamt für Justiz zu entscheiden. Auch in Abwesenheit ergangene Urteile - wie hier der Fall - sind grundsätzlich in Deutschland vollstreckbar. Voraussetzung ist allerdings, dass die verurteilte Person zu der vorausgegangenen Verhandlung geladen worden war und die Möglichkeit hatte, sich angemessen zu verteidigen, oder die Möglichkeit hatte, das Abwesenheitsurteil in zumutbarer Weise mit einem Rechtsmittel anzugreifen und so eine Wiederholung der Verhandlung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu erreichen. Italienische Urteile genügen diesen Anforderungen auf Grund der dortigen strafprozessualen Regelungen regelmäßig nicht. Die Vollstreckung ausländischer Verurteilungen hat weiterhin sogenannte materiell rechtliche Voraussetzungen. Dazu gehört insbesondere das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit, das in § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG gesetzlich normiert ist. Diese Voraussetzung ist bei einschlägigen Urteilen italienischer Gerichte ebenfalls häufig problematisch, weil der in den Urteilen mitgeteilte Sachverhalt regelmäßig für eine Verurteilung wegen Mordes bzw. Beihilfe zum Mord nach deutschem Recht nicht genügen würde. Häufig enthalten die Urteile lediglich Feststellung, der Angeklagte sei zur Tatzeit Angehöriger einer bestimmten Einheit gewesen und habe sich nicht im Urlaub (oder so ähnlich) befunden, ohne konkrete Feststellungen zu einer Beteiligung an bestimmten Tötungshandlungen zu treffen.

Eine Strafverfolgung durch die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft ist in Deutschland möglich soweit ein strafprozessualer Anfangsverdacht i.S.v. § 152 Abs. 2 StPO vorliegt. Die Staatsanwaltschaft ist hierzu nach dem Legalitätsprinzip sogar verpflichtet. Voraussetzung ist allerdings, dass kein Doppelverfolgungsverbot wie nach Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens eingreift, was jeweils im Einzelfall zu prüfen ist.

In Deutschland führt die Staatsanwaltschaft Dortmund aktuell ein Sammelverfahren gegen Angehörige der Division „Hermann Göring“. Ihr liegen die Urteile der italienischen Gerichte vor. Sie werden derzeit ausgewertet.

Artikel-Informationen

erstellt am:
08.05.2013

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