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Antwort auf die Mündliche Anfrage: „Mord im Loccumer Klosterwald (Teil 3) - „Schlampten“ Justiz und Polizei?“

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 4. Mai 2016, Mündliche Anfrage Nr. 16


Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage Nr. 16 der Abgeordneten Editha Lorberg (CDU):

Vorbemerkung der Abgeordneten

Im September 2015 wurde die Leiche einer ermordeten jungen Frau aus Bad Rehburg im Loccumer Klosterwald von ihrem Vater gefunden. Nun wurde ein 48-jähriger Mann, der bereits mehrfach wegen Vergewaltigung verurteilt worden war und für den bereits die Sicherungsverwahrung angeordnet war, als mutmaßlicher Täter festgenommen. Dieser Mann war wegen seiner Alkoholsucht Patient des benachbarten Maßregelvollzuges und soll die Tat während eines Freiganges begangen haben.

Laut Hannoverscher Allgemeiner Zeitung vom 20. April 2016 räumte Innenminister Pistorius inzwischen Ermittlungsfehler der Polizei ein, für die man sich nur entschuldigen könne. So soll vor allem eine DNA-Spur, die nun zur Festnahme führte, infolge eines Kommunikationsfehlers zu spät ausgewertet worden sein.

Die Bild-Zeitung berichtete am 18. April 2016 („Judith (23) von Freigänger erstickt - So schlampten Justiz und Polizei“), dass die kriminelle Karriere des mutmaßlichen Täters in den 90er-Jahren begonnen und sich gesteigert habe: „Diebstahl, Einbruch, versuchte Vergewaltigung, Vergewaltigung. Er saß im Knast, kam auf Bewährung raus, verstieß gegen Auflagen. 2012 wurde er erneut in Aurich wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu vier Jahren und zehn Monaten verurteilt - und zu Sicherungsverwahrung!“

Auch soll die Polizei bereits im Oktober im benachbarten Maßregelvollzug ermittelt haben. Dabei soll sie erfahren haben, dass der Verdächtige an jenem Tag unbegleiteten Ausgang gehabt habe und bei seiner Rückkehr leichte Verletzungen im Gesicht hatte. Dieser Spur soll nicht nachgegangen worden sein.

In dem Artikel sagt der Göttinger Polizeipräsident: „Es ist nicht nachvollziehbar, dass einem Verurteilten mit Sicherungsverwahrung unbegleiteter Ausgang genehmigt wurde.“

1. Wegen welcher Taten wurde der nun Festgenommene wann zu welchen Strafen verurteilt?

Der Festgenommene wurde vom Landgericht Aurich im Jahr 2012 wegen Vergewaltigung und wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes unterbleiben weiteren Angaben zu dieser Frage. Das Justizministerium hat den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen hierzu jedoch bereits am 27.04.2016 in vertraulicher Sitzung unterrichtet.

2. Warum wurde einem Verurteilten mit Sicherungsverwahrung unbegleiteter Ausgang genehmigt?

Neben der unter Ziffer 1 genannten Strafe ordnete das erkennende Gericht Unterbringung des Festgenommenen in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) und in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) an. Die erkennende Kammer bestimmte im Anlassurteil, dass zunächst ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt zu verbüßen sei. Danach sollte die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und anschließend die Sicherungsverwahrung folgen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Unterbringung in der Entziehungsanstalt grundsätzlich vor der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu vollstrecken, weil die erfolgreiche Behandlung Voraussetzung für eine Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ist oder zumindest günstigere Voraussetzungen für die Resozialisierung in der Sicherungsverwahrung schaffen kann. Es geht darum, die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung durch die Vollstreckung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach Möglichkeit überflüssig zu machen.

Das therapeutische Konzept der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sieht die Gewährung von Vollzugslockerungen vor, da nur dadurch geprüft werden kann, ob ein Patient in der Lage ist, die in der Entziehungsanstalt erarbeiteten Behandlungserfolge eigenständig umzusetzen. Ferner sind Vollzugslockerungen nötig, um die Resozialisierung des Patienten in die Gesellschaft zu ermöglichen. Weil es darum geht, die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach Möglichkeit zu vermeiden, ändert sich dieses Konzept grundsätzlich auch nicht durch die gleichzeitige Anordnung der Sicherungsverwahrung. Allerdings ist die parallel angeordnete Sicherungsverwahrung im konkreten Fall bei der Erstellung und Fortschreibung des Behandlungs- und Eingliederungsplanes vom MRVZN Bad Rehburg berücksichtigt worden, weil unbegleitete Vollzugslockerungen erst nach einer auf die vorangegangene Haft folgenden Unterbringungsdauer von knapp zwei Jahren gewährt worden sind. Generell erfolgt die erste Gewährung von unbegleiteten Vollzugslockerungen im Rahmen einer Unterbringung nach § 64 StGB bereits deutlich früher.

Unbegleitete Lockerungen wurden nach eingehender Prüfung sowohl innerhalb der Maßregelvollzugseinrichtung als auch durch ein externes, dreiköpfiges Prognoseteam angesichts der Behandlungsfortschritte, die der Untergebrachte erzielt hatte, von der Vollzugsleitung verantwortet.

Die Staatsanwaltschaft Aurich stimmte den später gewährten unbegleiteten Lockerungen am 22.12.2014 zu, nachdem sie ein Schreiben des Maßregelvollzugszentrums Bad Rehburg vom 17.12.2014 erhielt, in dem ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie ein Diplom-Psychologe unter Hinweis auf das Votum des Prognoseteams die Gründe für die beabsichtigten Vollzugslockerungen dargelegt haben.

3. Warum wurde nicht der Spur vom Oktober nachgegangen, dass am Tattag ein Patient des der Wohnung des Opfers unmittelbar benachbarten Maßregelvollzuges, der wegen Vergewaltigung zur Sicherungsverwahrung verurteilt war, unbegleiteten Ausgang hatte und bei seiner Rückkehr Verletzungen im Gesicht hatte?

Durch den damaligen stellvertretenden Leiter des MRVZN Bad Rehburg wurde am 12.10.2015 einem Ermittler-team der Mordkommission (Moko) im Anschluss an seine zeugenschaftliche Vernehmung mitgeteilt, dass der jetzt beschuldigte Patient am 12.09.2015 (vermuteter Tattag) nach einem Ausgang mit einer leichten Gesichtsverletzung (Kratzer) zurückgekehrt sei. Weiter teilte er mit, dass diese Person jedoch in keiner Weise zu der Beschreibung passe, welche zuvor durch die Presse veröffentlicht wurde. Hier ist anzumerken, dass es einen Zeugenaufruf gab, weil eine Zeugin bekundet hatte, dass sie die Getötete am 12.09.2015 gemeinsam mit einem Mann im Auto habe fahren sehen. Allerdings korrigierte die Zeugin ihre zunächst recht detailgenaue Beschreibung später und schwächte sie ab.

Die Ermittler notierten den Namen des beschuldigten Patienten handschriftlich in den eigenen Unterlagen, unterließen es jedoch, die hier in Rede stehende Information in die Vernehmung aufzunehmen sowie eine sog. „Personenspur“ anzulegen und in der gemeinsamen Spurenbesprechung u. a. mit dem Leiter der Moko anzusprechen. Vor diesem Hintergrund haben sich sowohl Herr Minister Pistorius als auch Herr Landespolizeipräsident Binias bereits öffentlich für die fehlerhafte Bearbeitung entschuldigt.

Unabhängig von diesem Hinweis wurde ein „Spurenkomplex Maßregelvollzug Rehburg-Loccum“ angelegt. Entsprechende Vorabsprachen mit der Klinikleitung und erste Ermittlungen im MRVZN wurden bereits ab Oktober 2015 geführt.

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
04.05.2016

Ansprechpartner/in:
Herr Marco Hartrich

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120 - 5162

www.mj.niedersachsen.de

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