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Sitzung des Nds. Landtages am 16. September 2015, Erste Beratung (TOP 7)

Rede der Niedersächsischen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendarrestvollzuges in Niedersachsen


Es gilt das gesprochene Wort!

„Mit dem vorliegenden Gesetz schafft die Landesregierung erstmals eine eigene, umfassende Grundlage für die Vollstreckung des Jugendarrestes in Niedersachsen. Wir tun das vor allem aus zwei Gründen: Zum einen müssen der erzieherische Grundgedanke des Jugendarrestes und seine Ausrichtung auf das Ziel der sozialen Integration geschärft werden. Zum anderen ist dieses Gesetz aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich.

Jedes Jahr verbüßen etwa 4.000 Jugendliche und Heranwachsende einen Jugendarrest in Niedersachsen. Der Arrest wird verhängt, wenn eine Jugendstrafe noch nicht geboten ist, den Jugendlichen aber eindringlich zu Bewusstsein gebracht werden muss, dass sie für das begangene Unrecht einzustehen haben und eine Verwarnung oder die Erteilung von Auflagen hierfür nicht mehr ausreicht. Die Vollstreckung von sog. Warnschussarresten fällt mit einer Anzahl von bisher 54 verhängten Arresten im Jahr 2015 kaum ins Gewicht.

Daneben kann Jugendarrest verhängt werden, wenn vom Gericht erteilte Weisungen oder Auflagen schuldhaft nicht erfüllt wurden. Hiervon sind insbesondere Schülerinnen und Schüler betroffen, die die Teilnahme am Unterricht verweigern.

Immerhin: 4.000 Jugendliche und Heranwachsende befinden sich jedes Jahr zur Verbüßung eines Jugendarrestes bis zu vier Wochen in unserer Obhut, teilweise wiederholt. Es hat mich deshalb verwundert, dass es in Niedersachsen bislang keine ausreichenden gesetzlichen Regelungen für den Vollzug des Jugendarrestes gibt. Alle wesentlichen Regelungen für die Ausgestaltung des Vollzuges finden sich in einer Rechtsverordnung des Bundes aus dem Jahre 1976, obgleich den Ländern seit der Föderalismusreform im Jahre 2006 die Gesetzgebungskompetenz zusteht. Rechtlich problematisch ist dies insbesondere bei der Anordnung von besonderen Sicherungsmaßnahmen. Die damit verbundenen Grundrechtseingriffe erfordern zwingend eine gesetzliche Regelung. Eine Rechtsverordnung ist dafür nicht ausreichend.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Jahr 2006 ausdrücklich vorgegeben, dass der Gesetzgeber auch diejenigen Grundrechtseingriffe regeln muss, die über die reine Freiheitsentziehung hinausgehen. Wir werden jetzt endlich den Jugendarrestvollzug verfassungskonform regeln.

Das zentrale Anliegen des Jugendarrestvollzugsgesetzes ist allerdings ein inhaltliches. Der Gesetzentwurf orientiert sich konsequent am Erziehungsgedanken und dem Ziel des Jugendarrestes, die Arrestantinnen und Arrestanten zu einem straffreien Leben in sozialer Verantwortung zu befähigen. Ein zuvorderst auf Abschreckung ausgerichteter Vollzug, so wie er auch in Niedersachsen lange Zeit praktiziert wurde, wird damit der Vergangenheit angehören. Rückfallquoten von über 60 Prozent erfordern eine deutliche Kurskorrektur, und zeigen, dass bloßes Wegsperren nicht hilft. Diese Auffassung ist in der kriminologischen Forschung unbestritten.

Künftig soll deshalb die Zeit des Arrestes für die Förderung und Unterstützung der Arrestantinnen und Arrestanten genutzt werden. Der Entwurf sieht eine enge Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Stellen vor, die einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Arrestantin oder des Arrestanten haben können. Hierzu zählen insbesondere die Bewährungshilfe, Schulen und Schulbehörden, Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe, insbesondere die Jugendgerichtshilfe, Agenturen für Arbeit, Einrichtungen für berufliche Bildung, Träger der Sozialversicherung und der Sozialhilfe, Gesundheits-, Ausländer- und Polizeibehörden, Sucht- und Schuldnerberatungsstellen, Ausländer- und Integrationsbeauftrage sowie Hilfeeinrichtungen anderer Behörden und von Verbänden der freien Wohlfahrtspflege.

Im Rahmen dessen, was in der kurzen Arrestzeit möglich ist, sollen alle ins Boot geholt werden, die helfen könnten, die jungen Menschen wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Dazu zählen selbstverständlich auch die Eltern. Sie haben im Jugendarrestvollzug bislang keine Rolle gespielt. Der Entwurf stärkt die Stellung der Personensorgeberechtigten und sieht vor, sie durch Informationen in die Überlegungen des Vollzuges zu Förder- und Unterstützungsmaßnahmen einzubinden. Gerade bei jugendlichen Arrestantinnen und Arrestanten ist dies unter Beachtung des Erziehungsrechts aus Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes geboten. Die Arrestantinnen und Arrestanten kehren in ihr häusliches Umfeld zurück. Eine Erreichung des Vollzugsziels ohne die Einbeziehung der Eltern und ihrer besonderen Rolle ist kaum denkbar. Es ist gelegentlich auch Aufgabe der Vollzugsbehörden, die Eltern in die Pflicht zu nehmen.

Selbstverständlich können alle nur helfen, fördern und unterstützen. Die Entscheidung für eine Veränderung muss die Arrestantin oder der Arrestant treffen. Das Verständnis für die eigene Verantwortung muss oftmals noch geweckt werden. Die Maßnahmen zielen deshalb auf die Auseinandersetzung mit dem begangenen Unrecht auch unter Berücksichtigung eventueller Opfer.

In der kurzen Zeit des Arrestvollzuges können keine Wunder bewirkt werden. Wir werden auch nicht jede oder jeden erreichen können. Der Jugendarrest soll aber in möglichst vielen Fällen zum Weichensteller für die Zukunft der Arrestantinnen und Arrestanten werden.

Unser oberstes Ziel muss es sein, die Zahl der jugendlichen Arrestantinnen und Arrestanten durch präventive Maßnahmen dauerhaft zu senken. Dazu gehört vor allem die Gruppe der Schulverweigerer, die zeitweise bis zu 50 Prozent in den Jugendarrestanstalten ausmachen. Ich bin überzeugt, dass wir durch verbesserte Kooperationen zwischen Schulen, Schulbehörden, Jugendhilfe, Ordnungsämtern, Jugendgerichten und der Jugendgerichtshilfe die Anzahl der jungen Menschen verringern können, die insbesondere aus diesem Grund letztlich im Jugendarrest landen. Die betroffenen Ressorts arbeiten dazu in enger Abstimmung an Lösungen.

Die intensive Beschäftigung mit den Jugendlichen und die Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern erfordern natürlich mehr Zeit und Engagement von den Bediensteten. Durch die qualitativen Verbesserungen des Jugendarrestvollzugsgesetzes entsteht ein Stellenmehrbedarf im Umfang von 18,5 Stellen. Zu einer Mehrbelastung des Haushaltes wird es gleichwohl nicht kommen. Wir haben vorgesorgt und die zurückgegangenen Gefangenenzahlen genutzt, Einrichtungen zu schließen. Aber wir sind so in der Lage, die angestrebten Verbesserungen im Jugendarrestvollzug unter Berücksichtigung der Haushaltslage zu bewältigen.

Ich freue mich und bin sicher, dass es mit diesem Gesetzentwurf, der in den vergangenen zwei Jahren im intensiven Dialog mit der Praxis entstanden ist, gelingen wird, einen modernen und effektiven Jugendarrestvollzug in Niedersachsen zu schaffen.

Ich freue mich schon jetzt auf die Beratungen in den Ausschüssen und würde mich freuen, wenn sich alle Fraktionen dabei mit Herz und Verstand einbringen würden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“

Presseinformation

Artikel-Informationen

erstellt am:
16.09.2015

Ansprechpartner/in:
Herr Marco Hartrich

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120 - 5162

www.mj.niedersachsen.de

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